Persönlichkeit
Der Begriff der Persönlichkeit ist unscharf definiert. Er hat etwas, mit Person zu tun und diese hat wiederum etwas, mit der sozialen Maske eines Menschen, seinem Ansehen zu tun. So betrachtet ist Persönlichkeit das, was eine Person von sich äußert. Eine Person hat dabei sowohl ein Selbstverständnis (Selbstverhältnis) als auch eine Performance (Fremdverhältnis).
Persönlichkeiten kommen nicht fertig zur Welt. Sehr wahrscheinlich gibt es angeborene Aspekte der Persönlichkeit, aber der weitaus größere Teil davon ist biografisch erworben. Sie bildet sich in einer einmaligen Biografie, in einem einmaligen sozialen und kulturellen Umfeld. Dabei haben alle Kulturen zu allen Zeiten unterschiedliche Anforderungen an die Bezeichnung „Persönlichkeit“ gestellt.
Für unser modernes westliches Verständnis ist es selbstverständlich, dass wir individuelle Persönlichkeiten sind. Dies ist eine Errungenschaft der Neuzeit, die sich allerdings noch nicht überall auf der Erde ausgebreitet hat.
In unserer zeitgenössischen westlichen Kultur hat diese individuelle Persönlichkeit einen sehr hohen Stellenwert erhalten. Sie erscheint einerseits unvermeidlich – niemand kann der Pflicht entgehen, eine Persönlichkeit sein zu müssen; andererseits stellt individuelle Persönlichkeit auch etwas sehr Erstrebenswertes dar.
Wachstum
Der Begriff „Wachstum“ scheint auf den ersten Blick etwas klarer zu sein. Wachstum wird überwiegend positiv assoziiert – Wachstum ist gut, verspricht es doch ein Mehr, ein Größer, ein Stärker usw.
Schon in der griechischen Philosophie war Wachstum das Werden der Essenz eines Wesens, das sich ausgewachsen vervollkommnen wird. Eine Idee, die bis in neuzeitliche Philosophien ausgestrahlt hat. Wachstum ist Wandlung nach einem inneren Gesetz, das ein Wesen seine Möglichkeiten verwirklichen lässt. Bis hier war Wachstum den Lebewesen vorbehalten, die aus einem kleinen und unausgereiften Zustand zu einem großen und vollkommenen heranwuchsen.
Die Neuzeit brachte auch die Übertragung des Wachsens auf die Wirtschaft zu Stande. Die ersten Wirtschaftstheorien arbeiteten zentral mit dem Begriff der „Knappheit“, die es zu besiegen galt. Was lag näher, als Handel und Wirtschaft zum Wachsen anzuregen. Dazu musste investiert werden, damit die Wirtschaft zum Blühen gebracht werden konnte.
Der weitere Verlauf dieser Geschichte macht etwas deutlich. Die industrielle Revolution formte die Gesellschaft und die Menschen darin um. Abgesehen von einem neuen Arbeiterstand gab es jetzt auch das „Kapital“, Unternehmer-Persönlichkeiten, die dank ihrer Energie und ihres Erfindungsgeistes (und nicht aufgrund ihrer adligen Herkunft) ihre Leistungen vollbrachten.
Dieses Phänomen lässt sich über die ganze Geschichte feststellen. Menschen formen etwas Neues und sobald das Neue sich ausgebreitet hat, formt das Neue wiederum die Menschen. Insgesamt ergibt sich daraus das, was wir heutzutage Fortschritt nennen.
Gegenwart
Heute erklingen auch erste skeptische Töne zum Wachstum und damit ist dann immer das Wirtschaftswachstum gemeint. Es beruht, so die Kritik, auf der Ausbeutung und Verschwendung von Ressourcen, Menschen und womöglich einer lebenswerten Zukunft. Diese Form der liberal-kapitalistischen Ökonomie formt auch in unserer Zeit neue Menschenbilder und neue Lebensentwürfe, fordert neue Fähigkeiten und verändert Lebensläufe z.T. sehr grundlegend.
Die Strategie der Ausbeutung, bleibt nicht ohne Rückwirkung auf die Menschen in der Gesellschaft. Wer nicht von anderen ausgebeutet wird, tendiert dahin, sich selbst auszubeuten. Jede und Jeder einzelne wird zur Unternehmer-Persönlichkeit seiner Ein-Personen-Firma, die gefälligst wachsen soll, einfach weil sie es für den Lebensunterhalt muss.
Dieser sozialen Realität ist kaum zu entkommen. Scheinbar alternativlose Sachzwänge verstellen den Blick auf andere Möglichkeiten, es bleibt einfach keine Zeit, sich zu besinnen und über andere Wege nachzudenken. Das liegt auch daran, dass die meisten Menschen diese Art zu leben von klein auf miterlebt haben – es ist normal, das macht man so und damit kann man sich auch identifizieren. Und last but not least gibt es die Belohnung der Konsummöglichkeiten.
Intrinsische Motivation
Damit ergibt sich das Bild, dass ein Mensch in eine soziale Welt hineinwächst, der er/sie sich unmerklich anpasst. Dabei stoßen die inneren autonomen Lebensimpulse auf die Angebote der Umwelt und passen sich diesen so gut wie möglich an.
Vermutlich sind es diese autonomen Lebensimpulse, die auch den Kern der sogenannten intrinsischen Motivation ausmachen. Mit intrinsischer Motivation ist gemeint, dass bereits Primaten Handlungen vollziehen, die nichts mit Futtersuche, Fortpflanzung oder sozialen Handlungen zu tun haben. Handlungen, die scheinbar einfach nur Spaß machen, bzw. der Neugier oder dem Interesse folgen. Verblüffender Weise werden diese Primaten sogar ärgerlich, wenn man sie für solche Handlungen belohnt.
Es gibt also so etwas wie einen autonomen Impuls in einem Menschen. Ein Impuls, der sich an die Außenwelt richtet und dort seine lebensnotwendigen Erfahrungen macht. Die Lösungen und Lehren aus diesen Erfahrungen werden zu Persönlichkeitsmerkmalen, mit denen sich der Mensch identifiziert.
Lebenserfahrungen haben notwendige und zufällige Komponenten. Notwendig sind alle Erfahrungen, die das Leben mit sich bringt. Dazu zählen z.B. Schutz, Nahrung, Wärme, Beziehung usw. Die Art und Weise wie das Notwendige erfahren wird ist eher zufällig. Und auch die Schlussfolgerungen über die Bedeutung der Erfahrungen können sehr vielfältig sein.
Anpassungsleistungen
Es sind vor allem schwierige Lebenserfahrungen, die komplizierte Anpassungsmanöver zu ihrer Bewältigung brauchen. Die potenziell schwierigsten dieser Erfahrungen liegen dabei in der Kindheit. Über sechzig Prozent der Persönlichkeitsmerkmale haben sich schon um das sechste Lebensjahr herum ausgeprägt. Dabei sind etliche Fähigkeiten eines Erwachsenen beim Kind noch nicht ausgereift.
Wenn solche komplizierten Anpassungsleistungen für einen Menschen notwendig waren, bilden sie die Vorlage, um auch in Zukunft, auf diese Art mit Konflikten umzugehen. Diese neurobiologische Grundregel gerät nun in den Strudel der modernen Arbeitswelt. In dieser muss sich ein Mensch ohnehin anpassen und ein Mensch mit einer schwierigen Biografie wird das gerne tun, erlaubt ihm doch die Arbeit, die eigenen Nöte zu vergessen.
Unglücklicherweise vergisst die Seele nicht. Das Bewusstsein lässt sich austricksen und freut sich an den beruflichen und privaten Erfolgen, aber mit der Zeit schleicht sich das Verdrängte wieder in das Leben ein. Missstimmungen, Krankheitsanfälligkeit, Leistungsstörungen oder anderen Erscheinungen machen sich bemerkbar. Wenn der oder die Betroffene die Zeichen nicht erkennt, wird er/sie versuchen, mit noch mehr Arbeit, wieder Ruhe herzustellen.
Vielleicht macht er/sie aber auch eine Fortbildung oder einen Kurs, um sich wieder auf Kurs zu bringen. Und auf Kurs bringen meint hier häufig, sich für den Beruf noch fitter zu machen und noch leistungsfähiger zu werden.
Alternative Kursangebote bieten qualitatives Wachstum. Je nach theoretischer Herkunft geht es dabei um Interaktion, Spiritualität, Achtsamkeit (groß in Mode), Entspannung, Versöhnung usf. Wann immer diese Angebote mit dem autonomen Impuls, der intrinsischen Motivation, arbeiten, erfahren die Teilnehmer*innen eine qualitative Veränderung ihres Befindens. Ihre Sichtweise auf verschiedene Themen verändert sich, nimmt mehr und andere Aspekte wahr.
Dadurch wird das Leben nicht unbedingt einfacher – der autonome Impuls legt vielleicht keinen großen Wert auf beruflichen Erfolg oder Konsum. Der Übergang vom quantitativen Lebensstil zum qualitativen will auch die Alltagsroutinen verändern, eine Übung, die nicht ganz einfach ist. Wie bescheiden der Erfolg im Einzelnen auch sein mag, er wird als klare Steigerung der Lebensqualität, der Tiefe des Erlebens empfunden.