Realming und Bedürfnisse II

Mittelbare Hilfs-Bedürfnisse

Die Aktivierung und die Erfüllung/Nicht-Erfüllung der angeborenen Bedürfnisse finden in Beziehungsräumen statt (die in soziale Kontexte eingebunden sind). Auf dem Weg zum Spracherwerb werden die Erfahrungen mit den Bedürfnissen von Gefühlen begleitet. Gefühle helfen uns, uns in der Welt zu orientieren. Sie informieren uns darüber, wie wir etwas finden. Unter anderem informieren sie uns auch darüber, ob ein Bedürfnis gestillt wurde oder unerfüllt geblieben ist.
Davon ausgehend, dass die Bedürfnisse angeboren und lebensnotwendig sind, wird es plausibel, dass nicht erfüllte Bedürfnisse starke Gefühle auslösen. Die An- und Aufnahme der Gefühle durch eine Bezugsperson wird so ein mittelbares Bedürfnis, bevor das eigentliche Bedürfnis erfüllt werden kann. Man könnte auch sagen, dass es ein Bedürfnis nach emotionaler Aufnahme, ja nach Mitgefühl gibt.

Die „Sprache“ der Gefühle muss allerdings zunächst erlernt werden. Dazu braucht es einen genügend kompetenten Mitmenschen, der die Gefühle zutreffend erkennt, sie benennt, aufnimmt und mit kleinen Veränderungen zurückspiegelt, also ein Mensch, der zu Resonanz fähig ist.

Verletzte Bedürfnisse

Verletzte, unerfüllte Bedürfnisse lassen sekundäre, bzw. mittelbare Bedürfnisse entstehen. Aber die Befriedigung der sekundären Bedürfnisse kann nicht gleichzeitig das eigentlich frustrierte Bedürfnis stillen. Wenn z.B. das Bedürfnis nach Integrität, also Unversehrtheit verletzt wird – sei es durch einen Unfall, durch Gewalt oder Bedrohung, so wird das Gefühl der Angst auftauchen. Bezugspersonen sind nun aufgefordert, die Bedrohung abzuwehren, für Schutz zu sorgen, die Verletzung zu behandeln.
Eine angemessene Versorgung dieser Verletzung wird dann kaum Spuren hinterlassen und wenn, dann nur die Erfahrung, dass es Hilfe und Unterstützung gibt. Aber was, wenn keine angemessene Versorgung geboten wird? Dann wird sich tendenziell eine verlängerte Suche nach Versorgung und Schutz einstellen. Ein mittelbares Bedürfnis kann entstehen, das, statt nach (autonomer) Integrität, nach Schutz und Versorgung durch andere sucht.

Mittelbare Bedürfnisse

Solche mittelbaren Bedürfnisse können in allen neun Bereichen entstehen, wenn, v.a. während der Kindheit, große Frustrationen erfahren werden. Sie können ein großes Hindernis auf dem Weg zu einem befriedigenden Leben werden. Sie können das Verhältnis zum eigenen Leib ebenso beeinträchtigen, wie das Beziehungsleben und die soziale Teilhabe.
Jedes Mal, wenn ein mittelbares Bedürfnis befriedigt wird, bleibt ein schaler Geschmack zurück. > OK, ich wurde beschützt, getröstet, bekam Hilfe, Halt und Trost, Zuwendung, Erläuterung, Aufmerksamkeit und Erklärungen, aber ich bin unfähig, mit gleicher Münze zurückzuzahlen – ich bleibe bedürftig, fühle mich klein, schwach und hilflos <
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Der Weg zurück

Der Grad und das Ausmaß einer solchen Belastung sind natürlich sehr verschieden von Mensch zu Mensch. Und die gute Nachricht ist, dass die angeborenen Bedürfnisse noch da sind. Dass Problem ist nur, dass ihre Erfüllung nicht mehr erkannt werden kann. Die Ruhe der Sicherheit, die Befriedigung des Fließgleichgewichts, der Stolz der Selbstwirksamkeit, die Erfüllung einer Bindung, der Genuss der Gegenseitigkeit, das Berührt-Sein von Aufrichtigkeit, die Würde der Zugehörigkeit, die Verantwortung der Mitbestimmung, die Klarheit der Ordnung.

Realming und Bedürfnisse I

Das endlose Band der Bedürfnisse

Realming bietet eine Systematik zur Entwicklung der menschlichen Potenziale. Die Systematik orientiert sich an den Grundlagen und Notwendigkeiten des menschlichen Da-Seins.
Realming verfolgt dazu den Prozess der Raumbildung. Raumbildung ist ein, wenn nicht das zentrale Merkmal des Lebens. Erst in einem umgrenzten Raum können sich die Prozesse abspielen, die wir lebendig nennen. Die belebten Räume befinden sich in vielfältigen Umwelten.
Realming betrachtet „Raum“ in mehreren Dimensionen. Zunächst den physikalischen Raum, in dem alle Vorkommnisse stattfinden. Weiter den leiblichen Raum, mit und in dem alle Vorkommnisse erlebt werden. Und noch weiter den psychischen Raum, der den Vorkommnissen Sinn und Qualität verleiht. Auf einer höheren Stufe geht es auch um persönliche Räume, Beziehungsräume, sowie soziale, kulturelle und mentale Räume. Alle diese Räume durchdringen einander und beeinflussen sich gegenseitig.
Menschen sind bedürftig. Wie jedes Lebewesen brauchen Menschen ihre arttypischen Bedürfniserfüllungen um überleben zu können. Das wären zunächst die physikalisch-physiologischen Bedürfnisse wie Atemluft, Nahrung, Wasser, Schutz vor Feinden und Umwelteinflüssen. Für viele Arten kommen Bedürfnisse der Nachkommen mit ins Spiel, also Fortpflanzung, Brutpflege und Aufzucht. Falls es sich um sozial lebende Tiere handelt geht es auch um Platz und Rang in der Herde oder Gruppe. Diese Bedürfnisse müssen erfüllt sein, damit weitere, typisch menschliche Bedürfnisse erscheinen können. Erst ab dieser Stufe lassen sich Potenziale erkennen und entwickeln.

Bedürfnisse

Unter einem Bedürfnis kann ein Begehren nach etwas verstanden werden, etwas wie ein Wunsch, ein Verlangen, und manchmal eine Not. In der Regel lassen sich Bedürfnisse nur in der Außen-, Um- und Mitwelt erfüllen. Aus Sicht der Gestalttherapie drängt das Bedürfnis mit einer körperlichen Unruhe ins Bewusstsein, das dann als Bedürfnis identifiziert werden muss. Darauf kann eine Orientierung erfolgen und weiter eine Bewegung zu einer Quelle der Bedürfnisbefriedigung. Das Objekt des Bedürfnisses kann aufgenommen und die Aufnahme genossen werden – das Bedürfnis ist befriedigt und Ruhe kehrt ein. Bedürfnisse sind also so etwas wie innere Antriebe oder Motivationen, sich auf die Welt auszurichten.
Diese „Welt“ besteht aus den vorgefundenen Kontexten, die qualitativ sehr unterschiedlich ausfallen können. Die notwendigen Kontexte sind der eigene Körper, die Bezugspersonen und das soziale Umfeld. Diese Kontexte wirken auf- und ineinander, sie sind unterscheidbar aber nicht zu trennen.

Angeborene Bedürfnisse

Realming wählt also die Perspektive des inneren Antriebs, bezogen auf die Abgrenzungspflicht, die Austauschpflicht und die Pflicht zur Regulation (Diese sind für die Erhaltung des Lebens notwendig). Damit gibt es ein Bedürfnis nach Erhalt der Grenze, ein Bedürfnis nach Austausch und ein Bedürfnis nach Regulation.
Da diese drei Pflichten in allen Kontexten bestehen gibt es Grenzbedürfnisse bezogen auf den eigenen Leib, auf die bedeutsamen Beziehungen und auf das soziale Umfeld. Dasselbe gilt für den Austausch und die Regulation.
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Die Begriffe in der Tabelle umschreiben die angeborenen, vorsprachlichen Bedürfnisse. Sie sind so gesehen eine Art Kompass für das Leben. Sie wahrzunehmen, ihre Botschaften zu verstehen gibt Orientierung. Sie zu stillen vermittelt Selbstwirksamkeit und Kontrolle. Damit wird das Selbstwertgefühl gestärkt und das Leben kann sich gut anfühlen.