Wohin mit der Wut? Teil 3

wütende Frau

Wut und Rationalität

Gefühle stehen im Verdacht irrational zu sein, aber sind sie das wirklich? Rationales Denken ist ins Verhältnis setzendes Denken. Es erlaubt uns ein Urteil über einen Sachverhalt, indem es die beteiligten Komponenten zueinander ins Verhältnis setzt. Genau das macht auch ein emotionales Urteil. Im Falle der Wut – es wird Schmerz zugefügt, eine Grenze verletzt und das Urteil ist Aufforderung zu Protest und Widerspruch dagegen. Der Sachverhalt „Grenzverletzung“ wird ins Verhältnis zum eigenen Grenzbedürfnis gesetzt und das Urteil ist eindeutig. Gefühle können insgesamt als (Be)Wertungen für zwischenmenschliche Verhältnisse betrachtet werden. Furcht bei Bedrohung, Trauer bei Verlust, Scham bei schuldhaftem Verhalten usw.

Wut als Urteil

Ein Problem des Gefühlsurteils kann in seinem Ausdruck liegen – also wie gehe ich jetzt mit diesem eindeutigen Urteil um? Wie gesagt, die Wut treibt zu einem kraftvollen Ausdruck, der aber je nach Kontext unangemessen sein kann. Es ist also hilfreich, mit seiner Wut umgehen zu können, die Wut haben zu können und nicht von der Wut gehabt zu werden.
Wut, deren Anlass erkannt ist, „will“ dabei helfen, den Anlass zu beseitigen. Angriffe sollen abgewehrt, Angreifer unschädlich gemacht werden. Das Ziel der Wut ist Selbstbehauptung, das Bewahren der Autonomie und der Bewegungsfreiheit. Wut aktiviert den Körper und richtet ihn auf. Sie gibt den Impuls zur Grenzziehung und –Verteidigung.

Erfolglose Wut

Es gibt Machtungleichgewichte, die der angemessenen Wut keine Chance auf Erfolg geben. Eltern gegen Kinder, Vorgesetzte gegen Untergebene, Stärkere gegen Schwächere – die Grenzverletzung muss in Kauf genommen werden. Eine solche Niederlage hinterlässt ihre Spuren. Der Ärger muss abgewehrt werden, die Rachegelüste gezähmt und der Selbstwert reguliert. Vielleicht bekommt ein Schwächerer die Ladung ab oder der Groll wird in sich hineingefressen. Diese Situation begünstigt das „Irrational-Werden“ der Wut – sie richtet sich an die falschen Adressaten oder gegen sich selbst.

Wohin bloß mit der Wut? Teil 2

Aggressionen, Ärger, Wut und Zorn haben eine Schattenseite. Sie verfügen über das Potenzial gewalttätig und zerstörerisch zu werden. Diese Schattenseite wird durch verschiedene Umstände begünstigt. Dass Wut zuverlässig durch Schmerzen ausgelöst wird, habe ich bereits im ersten Teil dargelegt. Ein weiterer starker Auslösereiz sind Grenzverletzungen. Die „Territorien“ um die es dabei geht können unterschiedlicher Art sein.

Das Intim-Territorium

Zunächst das sog. „Intim Territorium“ – dieses betrifft den eigenen Körper. Wird dieser angegriffen, belagert oder in seiner Lebensführung frustriert, dann löst das Wut aus. Und es muss nicht einmal der eigene Körper sein, der davon betroffen ist, es genügt bereits Zeuge davon zu werden, dass einem anderen Menschen so ein Angriff widerfährt. Die dabei gefühlte Wut ist bestenfalls in der Lage, sich aus so einer Zwangssituation zu befreien. Im weiteren Sinn gehören auch die wichtigen Mitmenschen – Partner*innen, Kinder, Eltern, gute Freund*innen zum Intimterritorium. Angriffe auf diese sind quasi auch persönliche Angriffe.

Das Image

Ein anderes Territorium ist das Selbstverständnis, das Image, das jemand von sich hat und nach außen zeigt. Die meisten Menschen haben ein Selbstbild, das sie als verantwortungsvoll, liebenswert, kompetent oder auch hart, entschlossen und überlegen u.v.m. auszeichnet. In aller Regel bestätigen Mitmenschen diese Vorstellungen (man beachte die doppelte Bedeutung von „Vorstellung“). Auch hier gibt es die Variationen der Grenzverletzung. Direkter Angriff auf das Image, Verweigerung der Bestätigung oder das Festnageln auf einen Aspekt des Images. Solche Angriffe werden als sehr schmerzhaft erlebt. Der Ärger darüber kann bestenfalls dabei helfen, für sich einzustehen und den Angreifer in seine Schranken weisen.

Glaube

Noch ein Territorium besteht in den Weltbildern und Glaubenssystemen, die sich ein Mensch macht. Gläubige jeglichen Glaubens reagieren meist sehr empfindlich auf Kritik an diesem – sei es als Belustigung, als Abwertung, Ablehnung oder Ausgrenzung.

Ko-Territorien

Im sozialen Raum lassen sich auch Ko-Territorien beschreiben. Z.B. als Mitarbeiter in einer Firma in einem definierten Arbeitsbereich, der mit anderen Bereichen zusammenarbeiten muss. Auch hier können Rivalen eindringlich stören, durch Dauertratsch an der Arbeit hindern oder es entwickelt sich womöglich eine Mobbing Dynamik.

Für alle Arten von Grenzverletzung steht der/die Betroffene vor der Frage, was er nun mit seiner Wut anfangen soll. Die abwertende soziale Einschätzung von Wut beruht vor allem auf der oben erwähnten Schattenseite. Aber Wut ist nicht gleich Zerstörung oder Gewalt. Wut bewertet zutreffend eine Grenzverletzung als inakzeptabel und stellt die Energie bereit, sich dieser Verletzung entgegenzustellen und sein Territorium zu verteidigen und diese ist auch ohne Gewalt und Zerstörung möglich.