„Ach wär‘ ich doch frei!“ Dieser Wunsch wird wohl häufig in einem recht naiven Sinn benutzt und meint dann meistens die Freiheit von etwas, z.B. von materieller Not, von einer unglücklichen Beziehung oder von einer lästigen Pflicht.
Ich habe schon in meinem Eingangsartikel meine Sicht geschildert, dass es Freiheit nicht ohne Grenzen geben kann, da die völlige Entbundenheit von jeglicher Begrenzung mit dem Leben nicht vereinbar ist.
Freiheit und Moral
Zum Leben zählen auch Beziehungen und Bindungen zu Mitmenschen. Die Ordnung dieses menschlichen Miteinanders wird gerne als „Moral“ bezeichnet. Im größeren sozialen Kontext ist es der Staat, der Clan oder die Familie, die Loyalität von den zugehörigen Menschen fordern. Diese Loyalität kann zur Last werden, wenn sie die Fähigkeiten oder die Bereitschaft zur Befolgung überfordert. Und es gibt im gesellschaftlichen Miteinander Autoritäten, deren Forderungen ebenfalls als unfrei empfunden werden können.
Forderungen nach Pflicht und Gehorsam kommen in Konflikt mit den eigenen Interessen, Wünschen und Bedürfnissen und so wird Freiheit dann oft als „frei von moralischen Maßstäben“ angesehen.
Aber geht das überhaupt – frei von Moral? Die ethnologische und soziologische Forschung zeigt, dass es in jeder menschlichen Gesellschaft eine Form von Moral gibt. Menschen erfinden Regeln, wie sie miteinander umgehen. Die Art dieser Regeln kann sehr unterschiedlich sein, aber vorhanden sind sie immer. Sie scheinen also einer Art soziologischer Gesetzmäßigkeit zu entspringen und sie können sogar schon bei sozialen Tieren beobachtet werden. Sollte sich nun doch jemand so frei fühlen, gegen die gegebene Moral zu verstoßen, riskiert er Strafen bis hin zum Ausschluss aus der Gruppe – ein Zustand, der tendenziell mit großen Stress verbunden ist.
Freiheit geht im sozialen Raum mit Verantwortung einher – spätestens dann, wenn mein Handlungen anderen Menschen betreffen. Eine absolute Handlungsfreiheit liefe auf das „Recht des Stärkeren“ hinaus, in dem die Freiheit des Einen die Unfreiheit des Anderen bedeuten würde.
Die Herausforderung, Individualität und Subjektivität mit moralischer Ordnung zusammenzudenken, wurde wohl von Immanuel Kant am gründlichsten angegangen. Ihm zufolge gewinnt ein Mensch Freiheit alleine durch die Fähigkeit zur Vernunft. Diese führt zwingend zu dem Gedanken, dass eine Handlung nur dann moralisch sein kann, wenn sie auch als ein allgemeines Gesetz gefordert werden könnte. Dieser sogenannte „Kategorische Imperativ“ ist also ein Verfahren, das sich auf jede mögliche Handlung anwenden lässt, und bereits die Anwendung des Verfahrens wäre ein Akt von Freiheit, an dessen Ende dann immer noch die Wahlfreiheit stünde, moralisch oder unmoralisch zu handeln.
In der durch Einsicht gewonnene und freiwillige Anerkennung der sozialen Verantwortung ergibt sich ein Freiraum von sinnvoller und bedeutsamer Teilhabe an der Gemeinschaft. Die Anerkennung der Regeln ermöglicht Freiheit – auch die Freiheit, die herrschenden moralischen Regeln kritisieren zu können (So eine Freiheit gibt es natürlich nur in demokratisch verfassten Staaten).
Freiheit und Beziehung
Aber moralische Fragen betreffen auch das Beziehungsleben im engeren Umfeld. Hier zählen Werte wie Reziprozität und Fairness, Fürsorglichkeit und Rücksichtnahme, Verlässlichkeit und Einfühlungsvermögen, Anerkennung (der Autonomie), Aufrichtigkeit und Klarheit. Die Erfahrungen mit solchen Beziehungsaspekten beginnen bereits im frühen Lebensalter, besonders während der frühen Kindheit in der Bindungsbeziehung.
Das menschliche Leben bringt die Bindungsbeziehung notwendig mit sich. Die Unreife bei der Geburt und die lange Kindheit erzwingen es, dass wir auf fürsorgliche Betreuung angewiesen sind. Diesbezüglich gibt es keine Wahl und damit keine Freiheit.
Das Glück, eine sichere Bindung zu erfahren, ermöglicht die spätere Freiheit, eine Bindung wählen zu können. Dass das Eingehen einer Bindung ein Akt der Freiheit ist, lässt sich gut an der klassischen Heiratsformel ablesen: „Willst Du …?“ „ Ja, ich will.“ (was nicht bedeuten soll, dass unverheiratete Paare unfreiwillig beieinander seien). Die Fähigkeit, bzw. Freiheit, eine Beziehung beenden zu können zählt übrigens ebenfalls zum Spektrum der freien und sicheren Bindung.
Eine unsichere Bindungserfahrung führt dagegen tendenziell zu Verstrickungen in oder zur Entwertung von Bindungen – eine mögliche Freiheit, kann nicht oder nur unter großen Anstrengungen erreicht werden, Beziehung wird zur tatsächlichen oder gefürchteten Falle.
Die Bindungsbeziehung formt die Persönlichkeit nachhaltig mit. Sie ermöglicht es, sich im Anderen selbst zu finden, zu lernen wer und wie man ist – sie schenkt Halt und Einhalt. In erwachsenen Beziehungen ist diese Möglichkeit immer noch gegeben – mich liebend zu beziehen schenkt mir die Freiheit, mich immer wieder neu kennenzulernen und meine Möglichkeiten zu entwickeln