Als biologische Wesen sind Menschen von ihrer Physiologie bestimmt. Es gibt keine Freiheit von den biologischen Grundbedürfnissen wie Nahrung, Wasser, Luft und Wärme. Und die Biologie bestimmt uns noch weiter. Sie hat uns einen Überlebensinstinkt mitgegeben, der sich in gefährlichen Situationen autonom einschaltet. Und sie gibt uns Antriebe für unser Suchen in der Welt – die Suche nach Selbstwert, Kontrolle, Orientierung, Bindung, sexueller Erfüllung und Selbstwirksamkeit.
Diese autonomen und individuellen Motive treffen auf kulturelle Gebote und Verbote, auf eine soziale Realität, die versucht den Grundbedürfnissen gerecht zu werden, und die persönlichen Antriebe in sozial erwünschte Bahnen zu lenken. Die bestimmenden vitalen Antriebe treffen also auf fremdbestimmte Gebote und Verbote, die der freien Entfaltung der gegebenen Antriebe Hindernisse in den Weg stellen können.
Damit wären zwei Grenzen einer möglichen freien Subjektivität angedeutet. Die möglichen Freiheitsgrade entstehen in diesem Fall durch die Gestaltungsmöglichkeiten zwischen persönlicher Erfüllung und sozialer Angepasstheit.
Auf der Seite der persönlichen Erfüllung und des subjektiven Erlebens muss ein Mensch einen Umgang mit seinen kreatürlichen Bedürfnissen finden – einen Umgang mit Mangel und Fülle, mit Begehren und Frustration, mit Lust und Angst.
Bezogen auf die biografische Entwicklung beginnen Menschen diesen Weg mit geringen Frustrationstoleranzen und die körperlichen Signale der Unlust machen sich übermächtig bemerkbar. Bohrender Hunger, kalte Verlassenheit oder satte Zufriedenheit und frohes Behütet-Sein. Erst ab einem gewissen Lebensalter wird es dem Kind möglich, seine Erfüllungen etwas aufzuschieben, den drängenden Bedürfnissen innere willentliche Schranken zu setzen. Es gewinnt eine gewisse Freiheit gegenüber den Forderungen seines Leibs, was gerne Selbstbeherrschung genannt wird.
Die andrängende Leiblichkeit macht sich auch in der sexuellen Entwicklung bemerkbar. Die erotischen Empfindungen, die anregenden Bilder und Fantasien, begegnen den Moralvorstellungen der Familie und der Kultur. Wie oft wünschen sich junge (und manchmal auch ältere) Menschen auch heute noch, frei von der Not dieser Begierden zu sein?
Je stärker der soziale Druck ist, je weiter die persönlichen Vorlieben von den kulturellen Setzungen abweichen, desto größer wird die empfundene Not. Die Vorstellung von Freiheit kann sich so dahin entwickeln, frei von den Moralgeboten zu werden, sich Freiräume zu suchen, in denen Sexualität nach eigenem Geschmack genossen werden kann, ohne Strafe fürchten zu müssen.
Aber auch dieser Weg ist manchmal schwer gangbar, wenn die Strafinstanzen so sehr verinnerlicht wurden, dass sie den Menschen auch noch in seinem Genuss beobachten und verurteilen – Erfüllung und Reue sind ein enges Bündnis eingegangen. In solchen Konstellationen gibt es kaum noch Freiheit, allenfalls die Freiheit der weniger schlechten Wahl.
Freiheit gewinnen lässt sich, wenn die Unschuld der kreatürlichen Antriebe anerkannt werden kann. Kein Lebewesen kann schlecht oder gar böse sein, wenn es seinen bauartbedingten Antrieben folgt. Erst wenn die Erfüllung dieser Antriebe auf Kosten anderer Menschen gehen, braucht es eine Grenze. Diese Grenze ist durch die Moral oder besser durch ein vom Subjekt anerkannten Wertsystem gegeben.
Niemand weiß bis heute, wie sich sexuelle Orientierungen ausbilden. Sie erscheinen in der Zeit der Pubertät und ändern sich dann meistens nicht mehr. Die Wege des Eros können dabei eine erstaunliche Kreativität entfalten, die weit über den einfachen Geschlechtsverkehr zur Vermehrung hinausgehen.
Eine Frage könnte hilfreich sein, um eine Haltung gegenüber moralischen Anstandsansprüchen zu gewinnen: „Wenn sexuelle Begierden niemandem Schaden zufügen, was sollte dann daran schlecht, böse oder verboten sein?“
Die Beantwortung dieser Frage wird die verinnerlichten Instanzen nicht ohne weiteres aushebeln oder gar unwirksam machen. Aber hier liegt eine Freiheit für die Entwicklung eines autonomen Wertesystems, das mit der Zeit das aufgezwungene System der Kindheit überstimmen kann. Damit wächst dann auch die Freiheit zu sexuellem Genuss ohne Reue und Schuldgefühl.