Wut und Rationalität
Gefühle stehen im Verdacht irrational zu sein, aber sind sie das wirklich? Rationales Denken ist ins Verhältnis setzendes Denken. Es erlaubt uns ein Urteil über einen Sachverhalt, indem es die beteiligten Komponenten zueinander ins Verhältnis setzt. Genau das macht auch ein emotionales Urteil. Im Falle der Wut – es wird Schmerz zugefügt, eine Grenze verletzt und das Urteil ist Aufforderung zu Protest und Widerspruch dagegen. Der Sachverhalt „Grenzverletzung“ wird ins Verhältnis zum eigenen Grenzbedürfnis gesetzt und das Urteil ist eindeutig. Gefühle können insgesamt als (Be)Wertungen für zwischenmenschliche Verhältnisse betrachtet werden. Furcht bei Bedrohung, Trauer bei Verlust, Scham bei schuldhaftem Verhalten usw.
Wut als Urteil
Ein Problem des Gefühlsurteils kann in seinem Ausdruck liegen – also wie gehe ich jetzt mit diesem eindeutigen Urteil um? Wie gesagt, die Wut treibt zu einem kraftvollen Ausdruck, der aber je nach Kontext unangemessen sein kann. Es ist also hilfreich, mit seiner Wut umgehen zu können, die Wut haben zu können und nicht von der Wut gehabt zu werden.
Wut, deren Anlass erkannt ist, „will“ dabei helfen, den Anlass zu beseitigen. Angriffe sollen abgewehrt, Angreifer unschädlich gemacht werden. Das Ziel der Wut ist Selbstbehauptung, das Bewahren der Autonomie und der Bewegungsfreiheit. Wut aktiviert den Körper und richtet ihn auf. Sie gibt den Impuls zur Grenzziehung und –Verteidigung.
Erfolglose Wut
Es gibt Machtungleichgewichte, die der angemessenen Wut keine Chance auf Erfolg geben. Eltern gegen Kinder, Vorgesetzte gegen Untergebene, Stärkere gegen Schwächere – die Grenzverletzung muss in Kauf genommen werden. Eine solche Niederlage hinterlässt ihre Spuren. Der Ärger muss abgewehrt werden, die Rachegelüste gezähmt und der Selbstwert reguliert. Vielleicht bekommt ein Schwächerer die Ladung ab oder der Groll wird in sich hineingefressen. Diese Situation begünstigt das „Irrational-Werden“ der Wut – sie richtet sich an die falschen Adressaten oder gegen sich selbst.