Lassen – Gelassen

Die Übung der Stille ist auch eine Übung des Lassens. In meinem Selbstumgang schenkt mir diese Übung auch schönste Momente der Gelassenheit. In der Stille, in der Welt sein, mit der Zeit fließen, für Momente ohne Erinnerung und ohne Erwartung an die Zukunft.

Die Übung, mich zu lassen, begleitet mich nun schon viele Jahre. Ich kann mich an meine Selbstzweifel, meine Selbstkritik, meinen Unfrieden mit mir gut erinnern. Nicht dass ich heute nicht mehr an mir zweifeln würde, aber die destruktive Note darin ist fast verschwunden. Wenn ich mich lassen kann, weiß ich wer und wo ich bin.

In meinen wichtigen Beziehungen erging es mir ebenso. Aus der Illusion heraus, es besser zu wissen, kritisierte ich schnell die anderen. Heute übe ich mich in der Kunst (nicht ohne Rückschläge), auch andere zu lassen und bemerke dann, dass die Begegnungen dadurch tiefer werden.

Im sozialen Feld fällt mir das Lassen sehr schwer – na ja, je nach dem sozialen Feld. Bei meiner Arbeit in Gruppen geht das eigentlich sehr gut, aber je weiter ich in die kulturelle und politische Umwelt schaue, desto schwerer fällt es mir, gelassen zu bleiben.

Auf der Empfindungsebene entsteht eine Entspannung. Ausgehend von der Brust breitet sie sich weiter aus, ins Gesicht, die Arme, den Bauch und die Beine – am allerdeutlichsten entspannen sich die Schultern.

Die Entspannung ist begleitet von einer Art Gefühl von Frieden. Es ist kein sehr ausgeprägtes Gefühl, so etwas wie ruhige Heiterkeit.

Ich denke, dass Lassen in einem Spannungsfeld zum „Tun“ steht. Ich denke auch, dass ich und wohl auch weite Teile unserer Kultur das Tun tendenziell höher schätzen als das Lassen. Tun und lassen in ein stimmiges und situativ angemessenes Gleichgewicht zu bringen erscheint mir als geradezu wesentlich für eine Lebenskunst.

Meine Befürchtungen bezüglich des Lassens gehen dahin, dass ich etwas verpassen könnte, oder im Sinne des Unterlassens etwas nicht tue, was besser getan wäre. Eine andere Befürchtung wäre, dass ich etwas nicht lasse, aus dem Gefühl, es nicht lassen zu können und, dass durch das fortdauernde Tun etwas Ungutes entstehen könnte. Ich hoffe aber unverzagt, dass meine Fähigkeiten des „guten Lassens“ sich weiter verfeinern werden.

Das ist auch mein Erreichungsziel. So Achtsam zu sein, dass ich dem Kontext angemessen tun oder lassen kann.

Mit meiner Praxis der Stille schule ich mich darin.

In der Abschlussstille taucht der Begriff des Vertrauens auf. Ich spüre Vertrauen in meinen Weg, vertraue auf mein Gespür, den stimmigen Schritt zu gehen.

Freude – erfreulich

Ein gänzlich unerwarteter Begriff – andererseits, bei diesem Wetter?

In meinem Selbstumgang freue ich mich eigentlich recht häufig. Ich freue mich am Vogelgezwitscher, freue mich über meine guten Ideen oder über gelungene Projekten und freue mich, wenn ich mich abends in mein warmes, weiches, trockenes und kuscheliges Bett lege.

In meinem Beziehungsleben kenne ich ebenfalls etliche freudige Erfahrungen. Das geht von guten Gesprächen über gemeinsame Essen, Spielen bis zu den Momenten größter Nähe.

Im sozialen Kontext finde ich ebenfalls Freude bei und an meiner Arbeit. Sei es in den Einzelstunden oder den Unterrichten oder bei meinen Vorträgen. Das fernere soziale Umfeld bietet mir zu Zeit weniger Anlass dazu – allerdings, gestern hat zu meiner Freude der SC gewonnen.

Körperlich spüre ich Freude an einem Lächeln, das sich auf mein Gesicht legt. Die obere Brust und der Bereich der Kehle weiten sich. Ganz subtil kann ich hinter meinen Augen noch einen Hauch von Trauer wahrnehmen.

Das Gefühl der Freude ist bei mir ein wenig biografisch belastet. Es fällt mir mitunter schwer, meine Freude darüber zu zeigen, wenn mir jemand etwas Gutes getan hat, mir eine Freude machen wollte.

Ich denke, dass Freude ein großes Geschenk für das menschliche Leben ist. Allerdings kann sie auf weniger freudige Menschen auch sehr provokativ wirken. Meine Freude zeigt mir, dass ich am richtigen Platz bin, dass meine Beziehungen gelingen, dass ich Erfolg hatte, dass das Leben schön sein kann.

Meine Befürchtungen gehen am ehesten dahin, dass ich in alte, freudlose Interaktionen zurückfalle – gerade mit den Menschen, die mir am wichtigsten sind. Meine Hoffnung am ehesten dahin, dass ich noch viel Freudiges erleben werde – alleine, gemeinsam und in Gruppen.

Erreichen möchte ich, dass ich wach bleibe für freudige Signale, dass ich der Freude erlaube, sich zu zeigen, sie anderen zeigen kann.

In der Abschlussstille freue ich mich darüber, entdeckt zu haben, wie viel Freude es in meinem Leben gibt. Ich möchte sie in Zukunft wirklich mehr beachten – mich an meiner Freude erfreuen.

Täuschung – Enttäuschung

Es ist Mittag geworden, bis ich zu meiner Stille komme – ich hoffe, niemand ist enttäuscht, dass er/sie so lange warten musste.

Täuschungen in meinem Selbstumgang versuche ich ja tunlichst zu vermeiden, aber ich kenne die Bereitschaft dazu nur zu gut, z.B. täusche ich mich gerne über die Erfolgsaussichten über ein Projekt, über meine Klugheit und inzwischen manchmal auch über meine Kraft.

Täuschungen in meinen nahen Beziehungen versuche ich ebenfalls zu vermeiden. Weder täusche ich gerne, noch lasse ich mir gerne etwas vortäuschen. Ich stelle aber fest, dass ich mich täuschen kann, wie die Gedanken, Handlungen und Bewertungen der anderen aussehen – da werde ich auch gerne mal positiv enttäuscht.

Körperlich spüre ich den Begriff vor allem und fast ausschließlich an der Augenpartie. Die Augen ziehen sich etwas zusammen, der Kopf geht in eine leichte links-rechts Bewegung und der Atem wird flacher.

Die Stimmung wird dabei angespannt, vorsichtig und misstrauisch.

Täuschung im sozialen Raum finde ich tendenziell ein großes Problem, vor allem wenn die sog. Eliten ihre Auftragserfüllung nur vortäuschen und stattdessen lieber ihre Taschen füllen. Es scheint eine Tendenz zu geben, in der Tatsachen nicht mehr die Rolle spielen, die sie spielen sollten, nämlichm den daraus abgeleiteten Wahrheiten, eine zuverlässige Grundlage zu geben.

Ich denke, Täuschung und Enttäuschung sind in der menschlichen Bewusstseinsnatur unvermeidlich. Die Bilder, die ich mir von anderen Menschen und Situationen mache, sind meine eigenen Werke, die auf mehr oder minder guten Informationen (und Wünschen) aufbauen. Dazu kommt die wunderbare Fähigkeit, unschöne Fakten ausblenden zu können und mich dadurch nicht mehr von ihnen belästigt zu fühlen. Selbst täuschen zu können, halte ich letztlich auch für eine wertvolle Möglichkeit – z.B. kann ich so für mich behalten, was jemand anderes gerade nichts angeht.

Meine Hoffnungen gehen dahin, dass ich zumindest mir selbst gegenüber genügend aufrichtig bin, um mit den Realitäten, die mich angehen, sinnvoll umgehen zu können. Meine Befürchtungen richten sich auf die grassierenden Täuschungen, die gerade die Medien fluten – von der neuen Rechten über Panama Leaks bis Donald Trump oder W. Putin.

Erreichen möchte ich, dass meine Hoffnung mir selbst gegenüber umgesetzt wird. Ich denke, ich bin auf einem guten Weg.

Meine Schritte auf diesem Weg sind kritische Selbstreflexion, Gespräche, Feedback und Meditation.

In der Abschlussstille kommt mir die Gedanken an das hinduistische „Maya“ Konzept. Die Realität, die wir Wirklichkeit nennen, ist nur ein Schleier, der vor der wirklich, wirklichen Wirklichkeit liegt – manchmal habe ich den Eindruch ich hätte ein Ahnung davon, was damit gemeint sein könnte – aber vielleicht täusche ich mich da.

Dürfen wir so bleiben, wie wir sind?

Jürgen Wiebicke, „Dürfen wir so bleiben, wie wir sind? – Gegen die Perfektionierung des Menschen – eine philosophische Intervention“

Ich bin ja schon länger der Ansicht, dass ein gewisses philosophisches Grundverständnis für den Lebensvollzug sehr hilfreich ist. Sei es, dass die Gedanken in eine stimmige Ordnung gebracht werden können; oder sei es, dass man sich Gedanken über ein „Gutes Leben“ machen kann. Unglücklicherweise formulieren viele Philosophen ihre Gedanken auf sehr komplizierte, fachspezifische Art und erschweren damit Nicht-Philosophen den Zugang zu ihren oft sehr wertvollen Einsichten. Diese Erschwernis gibt es bei Jürgen Wiebicke nicht, der eben auch noch Journalist ist und sein Schreibhandwerk so gut versteht, wie die Philosophie.

Jürgen Wiebicke beackert das Feld der sog. Praktischen Philosophie, die nach dem richtigen Handeln fragt und besser unter dem Namen Moralphilosophie, bzw. Ethik bekannt ist. Er behandelt zeitgenössische Themen wie Sterbehilfe, Organentnahmen, Selbstoptimierung per Drogen oder Chip-Implantaten und weitere Herausforderungen der postmodernen Welt, z.B. die Untersuchung, wie und bei welchen Themen Ethikkommissionen eingesetzt werden und auch wobei sie nicht gefragt werden – z.B. beim spannenden Thema Armut und Krankheit.

Jürgen Wiebicke schreibt gut leserlich. Er erwähnt mehr nebenbei die klassischen Positionen zu moralischen Fragen und der/die Leser*in erfährt ein wenig über Aristoteles, Kant, Bentham u.a. Gründlicher geht Wiebicke auf zeitgenössische Philosophen ein, fasst deren Positionen zusammen und bezieht Stellung dazu.

In der zeitgenössischen Diskussion tobt ein Kampf zwischen Universalisten und (Kultur)Relativisten. Gibt es so etwas wie allgemein menschliche Werte oder sind das immer nur kulturspezifische und letztlich beliebige soziale Konstruktionen? Die Relativistische Position des „anything goes“ lässt tendenziell alle modernen Möglichkeiten der Selbstoptimierung zu, während die Universalisten eher nach Prinzipien Ausschau halten, die man nicht leichtfertig aufgeben sollte.

Die Gegenwart und die Zukunft halten enorme Herausforderungen für die Menschheit bereit. Nicht nur die Krisen von Umwelt, Bevölkerungszahl und Klima, sondern auch die neuesten Entwicklungen der Genetik und der künstlichen Intelligenz. Gemessen an früheren Erfahrungen mit neuen Technologien könnte man voraussagen, dass ihre Einführung eine Menge neuer Entwicklungen anstößt, die so sicher nicht vorhergesehen waren.

Der Abstand zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und Allgemeinwissen wird immer größer. Was heute schon erforscht und gefunden wurde kommt erst eine bis zwei Generationen später in die Schulbücher. Viele Menschen stehen deshalb mit überkommenem Wissen fantastischen neuen Entwicklungen gegenüber. Ich denke, es ist hilfreich, sich so weit zu bilden, dass eine fundierte eigene Haltung dazu entstehen kann. Das Buch von Jürgen Wiebicke halte ich dazu für sehr geeignet.

Unterlegen – Auferstanden

Es ist wohl Ostern zu verdanken, dass solche Begriffe aus der Stille auftauchen.

Unterlegen in meinem Selbstraum fühle ich mich, wenn ich krank bin oder auch, wenn ich Impulsen nachgebe, zu denen ich eigentlich eine kritische Meinung habe – Rauchen z.B.

Das Unterlegenheitsgefühl in Beziehungen hat eine alte Geschichte. Es kommen Erinnerungen aus der Kindheit, verbunden mit der  Ohnmacht gegenüber den Eltern. Ich brauche auch heute noch einen gewissen Anlauf, damit ich mich traue, meine Anliegen gegenüber meiner Liebsten zu äußern.

Im sozialen Raum nehme ich mich am meisten unterlegen wahr, tendenziell ohnmächtig. Meine Einflussmöglichkeiten betrachte ich als marginal und das bei gleichzeitig hohem Handlungsbedarf. Die Mächte der Gesellschaft erscheinen mir übermächtig und unerreichbar.

Die körperliche Empfindung stellt sich sehr schnell ein – der Kopf sinkt nach vorne, das Brustbein nach innen. Es ist assoziiert mit Scham und es fühlt sich an, als würde sich mein Geist ganz tief in mein inneres zurückziehen.

Ich denke, dass Unterlegenheit eine sehr schwierige Erfahrung ist. Existenziell wahrscheinlich unvermeidlich, hinterlässt eine Niederlage ihre Spuren im Selbstbild. Unterlegenheit ist auch eine Ohnmachtserfahrung und als solche für das Bewusstsein nahezu unerträglich. Ich vermute, dass viele Schuldzuweisungen ihren Ursprung darin haben, dass eigene Ohnmachtserfahrungen so erklärbar gemacht werden sollen.

Meine Hoffnung geht dahin, möglichst nicht mehr unterlegen zu sein – ein Vermeidungsziel und damit hoffnungslos! Vielleicht kann ich anstreben, mit meinen Niederlagen konstruktiv umzugehen – sie dann anzunehmen, wenn sie mir widerfahren sind, meine Verantwortung darin annehmen und meine Fehler bedauern kann. Meine größte Angst liegt wohl darin, dass ich befürchte, eine Niederlage nicht zu verhindern, die ich hätte verhindern können – ebenfalls eine Vermeidungsstrategie (sic).

In der Abschlussstille komme ich in Kontakt mit meiner Lebenskraft und ihrer unverwüstlichen Zuversicht, dass es nach jeder Niederlage weitergehen wird. Die Karten sind dann neu gemischt und so lange es noch etwas zu erreichen gibt, habe ich die Gewissheit, dass ich wieder aufstehen werde.