Realming und Impfen

Dieser Text ist aus einem Workshop entstanden, in dem die Teilnehmerinnen ihre Schwierigkeiten bezüglich der Corona Situation formuliert haben. Insbesondere das Gefühl, dass es schwierig sei, in seiner Mitte zu bleiben.

Sachstandsbeschreibung

Die Bereiche von Realming – Ich mit mir, Dir und euch – sind in die umfassendere Umgebung der Natur eingebettet. In dieser Biosphäre (Geosphäre, Atmosphäre) gibt es Phänomene, die eigengesetzlich auftreten – ein Vulkanausbruch, ein Unwetter und auch Wölfe, Bären, Bakterien oder Viren. Es gehört zur Evolution der menschlichen Gattung, dass Menschen Wege gefunden haben, mit solchen Phänomenen umzugehen. Naturkatastrophen waren schon immer eine treibende Kraft für den Erfindungsreichtum und die Weiterentwicklung menschlicher Kulturen.
Das Phänomen Corona entstammt der Biosphäre. Seine besondere Qualität ist, dass es neuartig ist. Kein menschliches Immunsystem kann darauf vorbereitet sein. In der Folge hat das zu einer Pandemie geführt, einer weltweit auftretenden Erkrankung mit teils schweren Verläufen und tödlichem Ausgang. Der Umstand, dass das Virus über Tröpfchen durch die Luft übertragen werden kann, macht es extrem ansteckend. Das bringt die Gefahr mit sich, dass innerhalb sehr kurzer Zeit sehr viele Menschen, sehr krank werden können (was genau so auch geschehen ist und immer noch geschieht). Das wiederum bringt nicht nur das Gesundheitssystem an und über den Rand seiner Leistungsfähigkeit, sondern führt auch in vielen anderen Lebensbereichen zu Problemen v.a. unbesetzte Arbeitsplätze können zu fatalen Wirkungsketten führen – die berühmt gewordenen systemrelevanten Jobs.
Virusinfektionen (auch mit neuartigen Viren) werden entweder mit mehr oder weniger schweren Symptomen durchgestanden und sie können auch zum Tod der Infizierten führen. Die Entdeckung, dass Viren der Auslöser von so spektakulären Krankheiten wie Pocken sind, war ein gewaltiger Fortschritt für die Medizin. Fast zur gleichen Zeit wurde auch das Prinzip der Impfung entdeckt. Und ebenfalls von Beginn an, wurde die Impfung mit Misstrauen betrachtet.

Immunsysteme

Der individuelle Mensch verfügt über eine biologisches Immunsystem – die unspezifische und die spezifische Abwehr, die dem biologischen System Mensch helfen, schädliche Einflüsse wie Viren, Bakterien, Parasiten etc. zu widerstehen. Derselbe Mensch hat auch ein psychisches Abwehrsystem, das ihm dabei hilft, schwer erträgliche Situationen durchzustehen. Zu guterletzt gibt es dann noch ein soziales Immunsystem, das durch solidarisches Handeln hilft, mit schwierigen Situationen wie Katastrophen fertig zu werden.
Darin lassen sich drei Aspekte des Mensch-Seins auffinden: Alle Menschen sind gleich, weil sie biologische Wesen sind. Einige Menschen sind einander ähnlich, weil sie derselben Kultur angehören. Und alle Menschen sind einmalig, weil sie ein persönliches Bewusstsein haben. Diese drei Aspekte sind immer gegeben, wenn sie auch unterschiedlich betont und gelebt werden. In der westlichen Kulturtradition wird die Einmaligkeit, der Individualismus für sehr wichtig genommen. In asiatischen Kulturtraditionen wird eher die Gemeinschaft für sehr wichtig genommen.
Der Fall der Pandemie betrifft alle drei Aspekte des Mensch-Seins. Der einzelne Mensch kann sich infizieren und andere anstecken. Die verschiedenen Nationen finden unterschiedliche Möglichkeiten, auf das Virus einzugehen. Und weil es eine Pandemie ist, sind alle Erdenbürger davon betroffen, auch davon, wie einzelne Nationen mit der Bedrohung umgehen.

Das Impfen

Der Umgang mit Epidemien hat eine lange Geschichte. Seit der Antike gibt es Überlieferungen, wie Gemeinschaften mit Seuchen umgegangen sind. Schon sehr früh wurde das Verfahren der „Quarantäne“ (vierzig Tage Isolierung) verwendet. Ab dem späten 19ten Jahrhundert kamen dazu die Verfahren der Nachverfolgung von Kontakten, um Infektionsketten zu unterbrechen und wenig später die Möglichkeit der Impfung. Diese „Fortschritte“ machten einen guten Teil der sog. „Biopolitik“ aus – die Überwachung der Bürger*innen zu ihrem eigenen Schutz und zum Schutz der noch gesunden. Biopolitik ist eine Errungenschaft für das soziale Immunsystem.
Die „Technik“ der Impfung ist seit über einhundert Jahren bekannt und erfolgreich, z.B. gegen Pocken (gelten weltweit als ausgerottet), Kinderlähmung (in Deutschland so gut wie ausgerottet) und zahlreiche andere Erkrankungen. Hygienemaßnahmen und die Impfung sind historisch die erfolgreichsten (gesundheitserhaltenden) medizinischen Maßnahmen.
Das Prinzip der Impfung beruht darauf, dass das biologische Immunsystem des Menschen mit abgeschwächten Erregern trainiert wird. Auch moderne Impftechniken wie Vektor- oder mRNA-Impfstoffe nutzen dasselbe Trainings-Prinzip. Das führt häufig zu milden Krankheitssymptomen und manchmal zu schweren Nebenwirkungen. Das Verhältnis von Krankheitskomplikationen zu Impfkomplikationen zeigt, dass es sehr viel (Faktoren von 1000 und mehr) riskanter ist, krank zu werden, als sich impfen zu lassen.

Die Impfentscheidung

Entscheidungen werden entweder spontan, intuitiv, heuristisch, aus dem Bauch heraus getroffen – System 1; oder sie werden reflektiert und abgewogen nach Vernunftgründen, Fakten und plausiblen Prognosen getroffen – System 2. Ihrer Natur nach reichen Entscheidungen in die Zukunft, die letztlich nicht vorhersehbar ist. Eine Entscheidung für etwas zu treffen bedeutet automatisch, einen anderen Weg zu verwerfen. Unglücklicherweise gibt es so gut wie nie eine vollständige Daten- und Faktenkenntnis zu einer Situation, so dass in jeder Entscheidung ein Restrisiko von Irrtum verbleibt.
Entscheidungen, die nach System 1 getroffen wurden, suchen häufig nach (scheinbar) rationalen Begründungen. Wenn sich keine solchen finden lassen, wird gerne zu erfundenen Behauptungen (Fake-News) gegriffen.
Im Falle des Impfens gibt es nur zwei Möglichkeiten – entweder man tut es oder man lässt es sein. Mit den Folgen der Entscheidung muss aber nicht nur die Entscheiderin fertig werden – alle Menschen, mit denen sie in Kontakt kommt, sind von der Entscheidung mitbetroffen. Das gilt für alle Infektionskrankheiten, besonders für solche, die auch sehr milde Verläufe kennen, die davon Betroffenen aber trotzdem infektiös sind. Die Impfentscheidung steht also im Spannungsfeld von Selbstbestimmung und Gemeinwohl – ein Feld, das zu Polarisierungen führen kann.
Die Verantwortlichen im Gesundheitswesen und der Politik müssen ihrem Job gerecht werden und zu diesem gehört die Aufgabe, Schaden von der Bevölkerung abzuwenden. Sie sind (z.T. gewählte) Vertreter*innen des Gemeinwohls, die die Interessen der Gemeinschaft durchsetzen sollen. Ich denke, es liegt auf der Hand, dass sie zu den Maßnahmen greifen wollen, die sich in der Vergangenheit so gut bewährt haben – Information, Quarantäne, Kontakteinschränkung und -Nachverfolgung, Hygiene und wenn möglich Impfung.

Ein paar Gedanken zur „Mitte“

Seine Mitte zu finden, in der eigenen Mitte zu sein, ist eine Metapher für Zentrierung im eigenen Selbst – körperlich, emotional und geistig. Die körperliche Mitte könnte man mit dem Da-Sein in einem menschlichen Körper in Verbindung bringen – angemessen schlafen und wach-sein, sich angemessen ernähren, sich angemessen bewegen und ruhen etc. Die emotionale Mitte könnte mit dem Da-Sein als Kulturwesen assoziiert werden – angemessen emotional ansprechbar sein, über angemessene emotionale Ausdrucksfähigkeit verfügen, ebenso angemessene Empathie Fähigkeit etc. Die geistige Mitte könnte dann im Zusammenhang mit der Einmaligkeit gesehen werden – sich selbst als Mensch, Kulturwesen und Person zu begreifen, seine Eigenarten angemessen wertzuschätzen und zum Ausdruck zu bringen, angemessene personale Beziehungen führen zu können, sich als Teil einer größeren Gruppe zu verstehen etc.
Förderlich für die Mitte wäre auf körperlicher Ebene ein guter Selbstkontakt und gute Fähigkeiten der Selbstregulation. Auf emotionaler Ebene gute Empathie Fähigkeit, soziale Integrität und kommunikative Fähigkeiten. Auf geistiger Ebene zählen sicher solide Informationen, rationale Denkfähigkeiten und ein expliziter moralischer Kompass zur Pflege der Mitte bei.
Seine Mitte zu verlieren würde bedeuten, dass eine Person sich polarisiert, bzw. sich so verhält (handelt, fühlt, denkt), als gäbe es nur einen wahren Pol. Diese Situation kann verschiedene Anlässe haben. Im sozialen Feld geht es häufig um politische Positionen, Grundsatzfragen wie Gemeinwohl vs. Selbstbestimmung, Solidarität vs. Autonomie/Autarkie, Fortschritt vs. Konservatismus, Freiheit vs. Sicherheit usw. usf.

Vom rechten Maß

Bereits Aristoteles hat darauf aufmerksam gemacht, dass einzelne Tugenden und Werte sich zwangsläufig selbst entwerten, wenn sie nicht von Ergänzungswerten begrenzt werden. So wird die Tugend des Muts zur Tollkühnheit, wenn nicht gleichfalls die Tugend der Vorsicht beachtet wird. Ebenso wird Vorsicht zur Feigheit, wenn der Mut keine Rolle mehr spielt.
Da kulturelle Werte immer und zwangsläufig soziale Konstruktionen sind, lassen sie sich nicht objektivieren. Wenn sie aufeinanderprallen, prallen tatsächlich Welten aufeinander und häufig tritt der Fall ein, dass die eigene Position als unhinterfragbar richtig erscheint, so dass eine Beschäftigung mit der anderen Position nicht in Frage kommt. Der Mutige schimpft den Vorsichtigen Feigling und der Vorsichtige den Mutigen tollkühn.
Es bräuchte also zum einen eine Bereitschaft, seine eigene Position zu hinterfragen und ebenso die Bereitschaft, den anderen Blickwinkel einzunehmen. Falls auf beiden Seiten der Wille und die Fähigkeit vorhanden ist, auf Vernunftgründe einzugehen, könnte so eine Verständigung erreicht werden.

Ein Wort zur Meinungsfreiheit

Meinungsfreiheit halte ich für ein hohes Gut und es möge meinetwegen gerne jeder und jede seine oder ihre Meinung haben. Der Begriff Meinung enthält ja genau das „mein“, also das subjektive eigene Meinen. Eine Meinung lässt sich leicht haben. Ich sage einfach: „Ich meine: …“ und damit könnte es sich haben. Was nicht unbedingt offensichtlich ist, ist, dass Meinungen häufig eine Behauptung aufstellen. Exemplarisch könnte man das an der Meinung: „Ich meine, die Erde ist eine Scheibe.“ demonstrieren. Natürlich darf ein Mensch das meinen und behaupten, aber dann darf ein anderer Mensch auch die Behauptung nach ihren Gründen befragen, also: „Wie kommst Du zu dieser Behauptung?“ Geschulte Flacherdler können nun eine Fülle von Gründen vorbringen, die aber allesamt nicht den Ansprüchen von Wahrheit, Logik und Kohärenz genügen. Denn was macht eine gute Begründung aus? Sie kann sich auf Fakten berufen, also auf Tatsachen, die durch entsprechende Daten gestützt werden. Eine gute Begründung stützt sich auf wahre Aussagen über Sachverhalte. Im nächsten Schritt müssen nun noch Schlussfolgerungen daraus gezogen werden und diese müssen den Regeln der Logik folgen, wenn sie plausibel sein sollen.
Ich kenne die schöne Definition von Toleranz als: „Die Möglichkeit einzuräumen, dass ich mich auch irren kann.“ Irren ist menschlich und Irrtümer lassen sich überprüfen und rückgängig machen. Und ja, ich habe mich ebenfalls auf Irrtümer überprüft.

Realming und Corona

zweigt wie Corona die Erde erfasst hat

Realming bietet ein Modell zur existenziellen Orientierung. Das bedeutet, dass Realming die menschliche Existenz, die Gewissheit des eigenen Da-Seins, als sicheren und gewissen Ausgangspunkt für seine Betrachtungen nutzt. In einer Zeit, in der gesichertes Wissen, also Gewissheiten, immer schwieriger von schlichten Meinungen und Lügen unterschieden werden können, erscheint mir das als eine sehr hilfreiche Perspektive.
Die Fragen, die Realming stellt, lauten einfach: Was braucht es notwendig, damit ein Mensch als Mensch leben kann? Oder auch: Welche Aufgaben muss ein Mensch verpflichtend erfüllen, um am Leben zu bleiben? Die Antworten auf die erste Frage lauten: Menschen brauchen eine Umgebung, sie brauchen einen Körper und ein Bewusstsein. Die Antworten auf die zweite Frage sind: Menschen müssen sich von den Umgebungen abgrenzen, sich mit ihnen austauschen und diese Prozesse müssen reguliert werden.
Das sind natürlich sehr abstrakte Betrachtungen, aber mit dem Phänomen Corona lassen sie sich gut veranschaulichen.

Die Umwelten

Corona ist ein Phänomen der Umwelt. Diese Umwelt weist zunächst physikalische Aspekte auf – also die Erde an sich, das Klima, die Schwerkraft, eben alles was in der physikalischen Welt der Ursachen verankert ist.
Zur Umwelt gehört natürlich auch der ganze Bereich der Biologie – das Leben an sich, das uns Menschen im Verlauf der Evolution erst hervorgebracht hat. Diese biologische Umwelt ist also die notwendige Grundlage jeglicher menschlichen Existenz. Insbesondere die Biosphäre stellt uns Sauerstoff und Nahrung zur Verfügung, aber sie bietet natürlich auch Stechmücken, Zecken, Bakterien und Viren.
Eine weitere Umwelt stellt das soziale Gefüge dar. Menschen sind zutiefst, und biologisch bestimmt, soziale Wesen. Ohne soziales Gefüge gäbe es keine Sprache, keine Kultur und keine technologische Entwicklung. Mit der Kultur begann die Kulturelle Evolution, die bis heute anhält.
Für den einzelnen Menschen ist eine weitere grundlegende Umgebung die bedeutsame Beziehung zu einem Mitmenschen. Ausgehend von der Bindungsbeziehung sind die uns nahen Menschen notwendig dafür, dass wir uns zu bewussten und vernunftbegabten Personen entwickeln können.
Keine dieser drei Umwelten ist verzichtbar. Auch nicht die letzte, denn die nahen Menschen leben auch dann in unserem Bewusstsein, wenn sie körperlich abwesend sind.

Die Lebenspflichten

Um am Leben zu bleiben, müssen alle Lebewesen, also auch Menschen, sich von der Umwelt abgrenzen. Schädliches muss möglichst draußen gehalten werden, bekömmliches soll hereinkommen, überflüssiges wieder ausgeschieden werden. Das heißt, über die Grenzen hinweg, bzw. durch sie hindurch muss ein Austausch erfolgen. Dieser Austausch muss in irgendeiner Form so geregelt werden, dass das Leben bewahrt wird.
Man könnte das menschliche Immunsystem als eine Art innere Grenze betrachten. Partikel, die über Hautöffnungen in den Organismus gelangt sind, können erkannt und neutralisiert werden. Das funktioniert um so besser, je bekannter die Eindringlinge schon sind. Bei neuen und unbekannten Invasoren kann diese innere Grenze versagen.
Im schlimmsten Fall dringt das Corona Virus in die Lungen vor, und zerstört deren Fähigkeit zum Gasaustausch, der infizierte Mensch droht zu ersticken. Zum Glück wird das menschliche Immunsystem von einem sozialen Immunsystem unterstützt. Medizinisches Knowhow und Versorgung können den betroffenen Menschen helfen. Epidemiologisches Knowhow kann dabei helfen, weitere Ansteckungen zu verringern. Falls dann der Erkrankte auch noch über ein stabiles psychisches Abwehrsystem verfügt, hat er gute Chancen, die Krankheit zu überstehen.

Bewusstsein kann Orientierung geben

Auch das menschliche Bewusstsein ist nicht ohne Voraussetzungen. Bevor etwas bewusst werden kann, muss es bemerkt werden. Im nächsten Schritt muss die Relevanz des Bemerkten eingeschätzt, also bewertet werden, und nur wenn eine Handlungsoption gegeben ist, kann es voll und ganz bewusst werden.
Im Falle des am Corona Virus erkrankten Menschen, gibt es Husten, Fieber etc., was nicht unbemerkt bleibt. Was ist die Ursache dieser Krankheit? Die Virologie kann Auskunft geben – es gibt eine neue Variante des Corona Virus. Die Bewertung fällt nicht schwer, eine Ansteckung ist bestenfalls lästig und schlimmstenfalls tödlich, das Virus also eher schlecht für Menschen.
Etwas anspruchsvoller wird jetzt der Umgang mit dem Erreger. Es gibt zunächst weder wirksame Medikamente noch eine Impfung gegen ihn. Es müssen erst Erfahrungen gesammelt werden. Experimente müssen designt, durchgeführt und ausgewertet werden, Substanzen getestet und Behandlungen erprobt. Bis eine wirksame Therapie gefunden wird, kann es zunächst nur darum gehen, die Verbreitung des Virus aufzuhalten.

Herausforderung

Wenn Grenzen überwunden werden, wird das Leben bedroht. Das Corona Virus kann den sozialen und den biologischen Schutzwall überwinden. Diese Bedrohung erzeugt zuverlässig Angst und Angst beeinträchtigt zuverlässig das vernünftige Denken. Damit bedroht die Pandemie auch das psychische Immunsystem.
Die derzeit einzige Möglichkeit, die Bedrohung zu minimieren, besteht darin, den sozialen Austausch herunterzuregeln, und damit die Übertragungen zu erschweren. Und auch das kann die psychische Regulation massiv in Mitleidenschaft ziehen.
Es ist ziemlich schwierig, nichts anderes gegen eine Bedrohung unternehmen zu können, als meistens Zuhause zu bleiben und draußen eine Maske zu tragen.
Es kann helfen, sich einen Moment zurückzulehnen, die Augen zu schließen, wahrzunehmen, dass man atmet, und sich dabei mit der Wirklichkeit der eigenen Existenz verbindet.
„Ich bin jetzt hier!“ ist eine Aussage, die helfen kann, den Blick wieder zu klären. Diese innere Handlung schafft einen Raum, der die Orientierungsfähigkeit unterstützt. Aus dieser Perspektive werden Gefahren angemessen wahrgenommen und die notwendigen Handlungen plausibel.

Realming und Bedürfnisse I

Das endlose Band der Bedürfnisse

Realming bietet eine Systematik zur Entwicklung der menschlichen Potenziale. Die Systematik orientiert sich an den Grundlagen und Notwendigkeiten des menschlichen Da-Seins.
Realming verfolgt dazu den Prozess der Raumbildung. Raumbildung ist ein, wenn nicht das zentrale Merkmal des Lebens. Erst in einem umgrenzten Raum können sich die Prozesse abspielen, die wir lebendig nennen. Die belebten Räume befinden sich in vielfältigen Umwelten.
Realming betrachtet „Raum“ in mehreren Dimensionen. Zunächst den physikalischen Raum, in dem alle Vorkommnisse stattfinden. Weiter den leiblichen Raum, mit und in dem alle Vorkommnisse erlebt werden. Und noch weiter den psychischen Raum, der den Vorkommnissen Sinn und Qualität verleiht. Auf einer höheren Stufe geht es auch um persönliche Räume, Beziehungsräume, sowie soziale, kulturelle und mentale Räume. Alle diese Räume durchdringen einander und beeinflussen sich gegenseitig.
Menschen sind bedürftig. Wie jedes Lebewesen brauchen Menschen ihre arttypischen Bedürfniserfüllungen um überleben zu können. Das wären zunächst die physikalisch-physiologischen Bedürfnisse wie Atemluft, Nahrung, Wasser, Schutz vor Feinden und Umwelteinflüssen. Für viele Arten kommen Bedürfnisse der Nachkommen mit ins Spiel, also Fortpflanzung, Brutpflege und Aufzucht. Falls es sich um sozial lebende Tiere handelt geht es auch um Platz und Rang in der Herde oder Gruppe. Diese Bedürfnisse müssen erfüllt sein, damit weitere, typisch menschliche Bedürfnisse erscheinen können. Erst ab dieser Stufe lassen sich Potenziale erkennen und entwickeln.

Bedürfnisse

Unter einem Bedürfnis kann ein Begehren nach etwas verstanden werden, etwas wie ein Wunsch, ein Verlangen, und manchmal eine Not. In der Regel lassen sich Bedürfnisse nur in der Außen-, Um- und Mitwelt erfüllen. Aus Sicht der Gestalttherapie drängt das Bedürfnis mit einer körperlichen Unruhe ins Bewusstsein, das dann als Bedürfnis identifiziert werden muss. Darauf kann eine Orientierung erfolgen und weiter eine Bewegung zu einer Quelle der Bedürfnisbefriedigung. Das Objekt des Bedürfnisses kann aufgenommen und die Aufnahme genossen werden – das Bedürfnis ist befriedigt und Ruhe kehrt ein. Bedürfnisse sind also so etwas wie innere Antriebe oder Motivationen, sich auf die Welt auszurichten.
Diese „Welt“ besteht aus den vorgefundenen Kontexten, die qualitativ sehr unterschiedlich ausfallen können. Die notwendigen Kontexte sind der eigene Körper, die Bezugspersonen und das soziale Umfeld. Diese Kontexte wirken auf- und ineinander, sie sind unterscheidbar aber nicht zu trennen.

Angeborene Bedürfnisse

Realming wählt also die Perspektive des inneren Antriebs, bezogen auf die Abgrenzungspflicht, die Austauschpflicht und die Pflicht zur Regulation (Diese sind für die Erhaltung des Lebens notwendig). Damit gibt es ein Bedürfnis nach Erhalt der Grenze, ein Bedürfnis nach Austausch und ein Bedürfnis nach Regulation.
Da diese drei Pflichten in allen Kontexten bestehen gibt es Grenzbedürfnisse bezogen auf den eigenen Leib, auf die bedeutsamen Beziehungen und auf das soziale Umfeld. Dasselbe gilt für den Austausch und die Regulation.
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Die Begriffe in der Tabelle umschreiben die angeborenen, vorsprachlichen Bedürfnisse. Sie sind so gesehen eine Art Kompass für das Leben. Sie wahrzunehmen, ihre Botschaften zu verstehen gibt Orientierung. Sie zu stillen vermittelt Selbstwirksamkeit und Kontrolle. Damit wird das Selbstwertgefühl gestärkt und das Leben kann sich gut anfühlen.

Realming und Klima

Realming betrachtet das Leben und die Welt aus einer Perspektive, die die Grundlagen der Phänomene mit betrachtet. Also alles was ist, hat eine Grundlage, auf der überhaupt etwas entstehen kann. Dabei ist „Grundlage“ nicht als eine Fläche zu verstehen, sondern als eine Sphäre (kugelförmiger Raum). Es sind die Umgebungen, die menschliches Leben und Bewusstsein erst ermöglichen und auch begrenzen.

Die notwendigen (grundlegenden) menschlichen Umgebungen

Realming betrachtet besonders die Umgebung des „Lebens“, also der Biosphäre, ohne die es keine Menschen geben könnte. Die Umgebung der „Liebe“, der Bereich der Bindung und bedeutsamen Beziehung ist eine weitere Umgebung, ohne die kein kohärentes menschliches Selbst entstehen könnte. Die dritte wesentliche Umgebung ist das „Teilen“, das soziale Umfeld, das erst die typisch menschliche Existenz ermöglicht.

Die Grundlagen der menschlichen Umgebungen

Aber natürlich hängt die Biosphäre nicht in einem luftleeren Raum. Sie lebt auf der Grundlage des Planeten Erde, der wiederum auf das Sonnensystem und den Mond angewiesen ist. Die Erde lässt sich als selbstorganisierendes System betrachten. Verschiedene Kräfte wirken auf sie ein, am stärksten sicher die Sonne. Auf, bzw. in diesen Grundlagen hat sich das Leben entwickelt und den Planeten zu dem geformt, den wir als Erde kennen.
Das selbstorganisierende System wurde dadurch sehr viel komplexer. Die Atmosphäre, die Ozeane, die Berge, die Pflanzen und noch einiges anderes tragen dazu bei, dass die Erde ein lebensfreundlicher Ort geblieben ist. Diese Lebensfreundlichkeit ist nun in großer Gefahr. Die Menschheit hat vergessen, dass sie auf eine bekömmliche Umgebung angewiesen ist und sie ist dabei, das, was sie am Leben erhält, vollständig umzukrempeln, bzw. zu zerstören.

Grundlagen und Bedeutungen

Die Ordnungsebenen von Gegebenheiten können erkannt werden, indem man ein Gedankenexperiment vollzieht. In diesem Experiment wird fantasiert, dass ein Aspekt völlig verschwinden würde. Alles was dann mit verschwinden würde, war auf einer höheren Ebene gelegen (wäre bedeutender gewesen), alles was übrig bleiben würde, war grundlegender.
Ein Beispiel: Ich betrachte meinen Schreibtisch und sehe viele Dinge herumliegen. Blätter, Bücher, der Bildschirm, Regale, den Fußboden usw. Wenn ich mir vorstelle, dass alle Blätter verschwinden würden, wäre ich erleichtert, dann wäre endlich mal wieder aufgeräumt. Alles andere bliebe erhalten.
Wenn ich mir vorstelle, meine Tastatur würde verschwinden, säße ich vor einem Bildschirm, den ich nur noch mit der Maus ansteuern könnte – der Computer bliebe zwar erhalten, wäre aber nicht mehr für mich nutzbar – die Tastatur ist grundlegend für die Nutzung des Computers.
Wenn ich mir vorstelle, alle Möbel würden verschwinden, säße ich mit all den Papieren, Büchern usw. auf dem Boden.
Wenn ich mir dann vorstelle, dass der Boden verschwindet, dann verschwände alles andere mit ihm. Der Boden ist also eine grundlegendere Ebene als Möbel, Computer, Papiere etc. – Na ja, ich könnte so gut es ginge aufräumen und mir neue Räume suchen.
Meine Büro Gegebenheiten stehen in einem Zusammenhang. Schreibtisch, Computer, Blätter usw. haben miteinander zu tun, verweisen aufeinander, ergeben erst miteinander ein nutzbares Büro.
Anders sieht der Fall aus, wenn ich mir vorstelle, dass es keinen elektrischen Strom gäbe. Kein Strom, kein Computer, kein Telefon, keine elektrische Beleuchtung – mein Büro sähe ziemlich anders aus. Und auch wenn ich mein Büro verlassen würde, käme ich in einer ziemlich fremden Welt an – keine Autos, keine Straßenbahnen, keine Straßenbeleuchtung usw.
Mit der Entdeckung und Entwicklung des elektrischen Stroms sind so viele Entwicklungen verbunden, dass dessen fantasierte Vernichtung, alles verändern würde, was wir als Alltag kennen. Ähnlich große Auswirkungen hätte die Vernichtung von fossilen Energieträgern.

Vernichtung der Bio- und Atmosphäre?

Was im Augenblick geschieht, ist, dass die globale Menschheit dabei ist, ihre Atmosphäre, wenn nicht zu zerstören, so doch, sie nachhaltig zu verändern.
Die Atmosphäre liegt auf einer noch tieferen, noch grundlegenderen Ebene als Strom oder Erdöl. Die Menschheit kam lange ohne diese Technologien zurecht. Aber sie hatte immer eine Atmosphäre, die sich nur in tolerierbaren Grenzen verändert hat, und dasselbe gilt für die Ökosysteme.
Aus dieser Sicht wird deutlich, wie notwendig Maßnahmen sind, damit die Veränderungen der Atmosphäre nicht völlig entgleisen.

Möglichkeiten die Realming bietet

Realming bietet einen sehr abstrakten Blickwinkel. Der Ansatz, Phänomene von ihren Grundlagen her zu verstehen, bietet eine andere Form von Verständnis als die Betrachtung der Einzelphänomene und deren Zusammenhang.
Realming betrachtet die Notwendigkeiten von Lebewesen – ihre Pflichten, sich durch Grenzen zu schützen, sich über die Grenzen hinweg mit den Umwelten auszutauschen und diese Prozesse zu regulieren.
Grenzen, Austausch und Regulationen mit der natürlichen Umwelt brauchen dringend eine neue Justierung.

Die gute Nachricht von Realming

Persönliches Erleben

Realming entspringt einerseits einer recht abstrakten Betrachtung und mag auf den ersten Blick etwas kühl wirken. Realming ist andererseits aber ganz nahe beim persönlichen Erleben. Und das persönliche Erleben ist emotional – es geht darum, zu leiden und sich zu freuen, sich zu ärgern und neugierig zu sein, sich zu schämen und sich stolz zu fühlen. Alle diese Emotionen und noch einige mehr gehören zum menschlichen Erleben. Sie sind bauartbedingt menschlich – Menschen sind so, weil sie sind!

Scham und Schuldgefühle

Viele Menschen schämen sich z.B. für ihre Gefühle, für ihre Impulse oder ihre Fantasien. Manche fühlen sich wertlos oder ungeliebt, zu wenig beachtet oder ausgegrenzt, unfähig, ungeschickt u.v.m. Sehr viele Menschen suchen den Fehler bei sich selbst und geben sich auch noch selbst die Schuld dafür, dass sie sich so fühlen, wie sich fühlen.

Sinn durch Gefühle

Das Problem sind aber nicht die Gefühle. Das Problem sind die Bedeutungen, die den Gefühlen gegeben werden. Gefühle haben bereits eigene Bedeutungen – sie bewerten unsere Erfahrungen. Sie sagen uns, wie wir etwas finden – angenehm, aufregend, ärgerlich, lustvoll usw. Diese Gefühle vermitteln uns den Sinn und die Bedeutung einer Situation – es gibt keinerlei Grund, sich für sie zu schämen.

Soziale Bewertungen

Aber Gefühle werden auch sozial gedeutet, z.B.: „Ärger ist böse.“ „Trauer ist eine Schwäche.“ etc. Diese sozialen Deutungen wurden uns schon früh im Leben vermittelt. Viele dieser Bedeutungen wurden danach nie mehr in Frage gestellt.

Biografie und Besonderheit

Aus der Sicht von Realming prägt und formt die Biografie wesentlich die Persönlichkeit mit. Das bedeutet aber nicht, dass eine Person durch ihre Biografie vorbestimmt ist. Im Gegenteil – durch die Kenntnis der Biografie kann ein Mensch freier mit seinen biografischen Besonderheiten umgehen.

Jeder Mensch ist einmalig

So betrachtet ist jeder Mensch einmalig, gerade weil er seine Menschlichkeit mit allen anderen Menschen teilt. Ich habe neulich einen bedenkenswerten Spruch gehört: „Erst wenn Du Deine Einzigartigkeit als Vorteil sehen kannst, wirst Du Frieden finden.“

Realming schätzt die Einzigartigkeit jedes Menschen vor dem Hintergrund seiner Menschlichkeit – Jetzt Kennenlernen auf dem Realming Workshop: „Wohin bloß mit den Aggressionen?“ Samstag 30.03. von 10 bis 18 Uhr in Freiburg