Täuschung – Enttäuschung

Es ist Mittag geworden, bis ich zu meiner Stille komme – ich hoffe, niemand ist enttäuscht, dass er/sie so lange warten musste.

Täuschungen in meinem Selbstumgang versuche ich ja tunlichst zu vermeiden, aber ich kenne die Bereitschaft dazu nur zu gut, z.B. täusche ich mich gerne über die Erfolgsaussichten über ein Projekt, über meine Klugheit und inzwischen manchmal auch über meine Kraft.

Täuschungen in meinen nahen Beziehungen versuche ich ebenfalls zu vermeiden. Weder täusche ich gerne, noch lasse ich mir gerne etwas vortäuschen. Ich stelle aber fest, dass ich mich täuschen kann, wie die Gedanken, Handlungen und Bewertungen der anderen aussehen – da werde ich auch gerne mal positiv enttäuscht.

Körperlich spüre ich den Begriff vor allem und fast ausschließlich an der Augenpartie. Die Augen ziehen sich etwas zusammen, der Kopf geht in eine leichte links-rechts Bewegung und der Atem wird flacher.

Die Stimmung wird dabei angespannt, vorsichtig und misstrauisch.

Täuschung im sozialen Raum finde ich tendenziell ein großes Problem, vor allem wenn die sog. Eliten ihre Auftragserfüllung nur vortäuschen und stattdessen lieber ihre Taschen füllen. Es scheint eine Tendenz zu geben, in der Tatsachen nicht mehr die Rolle spielen, die sie spielen sollten, nämlichm den daraus abgeleiteten Wahrheiten, eine zuverlässige Grundlage zu geben.

Ich denke, Täuschung und Enttäuschung sind in der menschlichen Bewusstseinsnatur unvermeidlich. Die Bilder, die ich mir von anderen Menschen und Situationen mache, sind meine eigenen Werke, die auf mehr oder minder guten Informationen (und Wünschen) aufbauen. Dazu kommt die wunderbare Fähigkeit, unschöne Fakten ausblenden zu können und mich dadurch nicht mehr von ihnen belästigt zu fühlen. Selbst täuschen zu können, halte ich letztlich auch für eine wertvolle Möglichkeit – z.B. kann ich so für mich behalten, was jemand anderes gerade nichts angeht.

Meine Hoffnungen gehen dahin, dass ich zumindest mir selbst gegenüber genügend aufrichtig bin, um mit den Realitäten, die mich angehen, sinnvoll umgehen zu können. Meine Befürchtungen richten sich auf die grassierenden Täuschungen, die gerade die Medien fluten – von der neuen Rechten über Panama Leaks bis Donald Trump oder W. Putin.

Erreichen möchte ich, dass meine Hoffnung mir selbst gegenüber umgesetzt wird. Ich denke, ich bin auf einem guten Weg.

Meine Schritte auf diesem Weg sind kritische Selbstreflexion, Gespräche, Feedback und Meditation.

In der Abschlussstille kommt mir die Gedanken an das hinduistische „Maya“ Konzept. Die Realität, die wir Wirklichkeit nennen, ist nur ein Schleier, der vor der wirklich, wirklichen Wirklichkeit liegt – manchmal habe ich den Eindruch ich hätte ein Ahnung davon, was damit gemeint sein könnte – aber vielleicht täusche ich mich da.

Dürfen wir so bleiben, wie wir sind?

Jürgen Wiebicke, „Dürfen wir so bleiben, wie wir sind? – Gegen die Perfektionierung des Menschen – eine philosophische Intervention“

Ich bin ja schon länger der Ansicht, dass ein gewisses philosophisches Grundverständnis für den Lebensvollzug sehr hilfreich ist. Sei es, dass die Gedanken in eine stimmige Ordnung gebracht werden können; oder sei es, dass man sich Gedanken über ein „Gutes Leben“ machen kann. Unglücklicherweise formulieren viele Philosophen ihre Gedanken auf sehr komplizierte, fachspezifische Art und erschweren damit Nicht-Philosophen den Zugang zu ihren oft sehr wertvollen Einsichten. Diese Erschwernis gibt es bei Jürgen Wiebicke nicht, der eben auch noch Journalist ist und sein Schreibhandwerk so gut versteht, wie die Philosophie.

Jürgen Wiebicke beackert das Feld der sog. Praktischen Philosophie, die nach dem richtigen Handeln fragt und besser unter dem Namen Moralphilosophie, bzw. Ethik bekannt ist. Er behandelt zeitgenössische Themen wie Sterbehilfe, Organentnahmen, Selbstoptimierung per Drogen oder Chip-Implantaten und weitere Herausforderungen der postmodernen Welt, z.B. die Untersuchung, wie und bei welchen Themen Ethikkommissionen eingesetzt werden und auch wobei sie nicht gefragt werden – z.B. beim spannenden Thema Armut und Krankheit.

Jürgen Wiebicke schreibt gut leserlich. Er erwähnt mehr nebenbei die klassischen Positionen zu moralischen Fragen und der/die Leser*in erfährt ein wenig über Aristoteles, Kant, Bentham u.a. Gründlicher geht Wiebicke auf zeitgenössische Philosophen ein, fasst deren Positionen zusammen und bezieht Stellung dazu.

In der zeitgenössischen Diskussion tobt ein Kampf zwischen Universalisten und (Kultur)Relativisten. Gibt es so etwas wie allgemein menschliche Werte oder sind das immer nur kulturspezifische und letztlich beliebige soziale Konstruktionen? Die Relativistische Position des „anything goes“ lässt tendenziell alle modernen Möglichkeiten der Selbstoptimierung zu, während die Universalisten eher nach Prinzipien Ausschau halten, die man nicht leichtfertig aufgeben sollte.

Die Gegenwart und die Zukunft halten enorme Herausforderungen für die Menschheit bereit. Nicht nur die Krisen von Umwelt, Bevölkerungszahl und Klima, sondern auch die neuesten Entwicklungen der Genetik und der künstlichen Intelligenz. Gemessen an früheren Erfahrungen mit neuen Technologien könnte man voraussagen, dass ihre Einführung eine Menge neuer Entwicklungen anstößt, die so sicher nicht vorhergesehen waren.

Der Abstand zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und Allgemeinwissen wird immer größer. Was heute schon erforscht und gefunden wurde kommt erst eine bis zwei Generationen später in die Schulbücher. Viele Menschen stehen deshalb mit überkommenem Wissen fantastischen neuen Entwicklungen gegenüber. Ich denke, es ist hilfreich, sich so weit zu bilden, dass eine fundierte eigene Haltung dazu entstehen kann. Das Buch von Jürgen Wiebicke halte ich dazu für sehr geeignet.

Unterlegen – Auferstanden

Es ist wohl Ostern zu verdanken, dass solche Begriffe aus der Stille auftauchen.

Unterlegen in meinem Selbstraum fühle ich mich, wenn ich krank bin oder auch, wenn ich Impulsen nachgebe, zu denen ich eigentlich eine kritische Meinung habe – Rauchen z.B.

Das Unterlegenheitsgefühl in Beziehungen hat eine alte Geschichte. Es kommen Erinnerungen aus der Kindheit, verbunden mit der  Ohnmacht gegenüber den Eltern. Ich brauche auch heute noch einen gewissen Anlauf, damit ich mich traue, meine Anliegen gegenüber meiner Liebsten zu äußern.

Im sozialen Raum nehme ich mich am meisten unterlegen wahr, tendenziell ohnmächtig. Meine Einflussmöglichkeiten betrachte ich als marginal und das bei gleichzeitig hohem Handlungsbedarf. Die Mächte der Gesellschaft erscheinen mir übermächtig und unerreichbar.

Die körperliche Empfindung stellt sich sehr schnell ein – der Kopf sinkt nach vorne, das Brustbein nach innen. Es ist assoziiert mit Scham und es fühlt sich an, als würde sich mein Geist ganz tief in mein inneres zurückziehen.

Ich denke, dass Unterlegenheit eine sehr schwierige Erfahrung ist. Existenziell wahrscheinlich unvermeidlich, hinterlässt eine Niederlage ihre Spuren im Selbstbild. Unterlegenheit ist auch eine Ohnmachtserfahrung und als solche für das Bewusstsein nahezu unerträglich. Ich vermute, dass viele Schuldzuweisungen ihren Ursprung darin haben, dass eigene Ohnmachtserfahrungen so erklärbar gemacht werden sollen.

Meine Hoffnung geht dahin, möglichst nicht mehr unterlegen zu sein – ein Vermeidungsziel und damit hoffnungslos! Vielleicht kann ich anstreben, mit meinen Niederlagen konstruktiv umzugehen – sie dann anzunehmen, wenn sie mir widerfahren sind, meine Verantwortung darin annehmen und meine Fehler bedauern kann. Meine größte Angst liegt wohl darin, dass ich befürchte, eine Niederlage nicht zu verhindern, die ich hätte verhindern können – ebenfalls eine Vermeidungsstrategie (sic).

In der Abschlussstille komme ich in Kontakt mit meiner Lebenskraft und ihrer unverwüstlichen Zuversicht, dass es nach jeder Niederlage weitergehen wird. Die Karten sind dann neu gemischt und so lange es noch etwas zu erreichen gibt, habe ich die Gewissheit, dass ich wieder aufstehen werde.

Geborgen – Verborgen

Ein seltsamer Begriff, der da heute Morgen aus der Stille auftaucht. In meinem Bett fühle ich mich geborgen, wenn ich in der Küche stehe und koche und wenn ich meine Lieblingswege im Wald spaziere – dann sind auch andere Lebensbereiche eher verborgen.

Geborgen fühle ich mich auch in den Armen meiner Liebsten, wenn wir herzlich miteinander lachen oder wir gemeinsam etwas erleben. Meiner Tochter versuche ich Geborgenheit zu vermitteln – ich hoffe, es gelingt mir hin und wieder.

Im sozialen Raum fällt es mir schwerer Geborgenheit zu finden. In Gruppen, in denen meine Rolle klar definiert ist noch am ehesten. Ich könnte sagen, dass mir die (Selbst)Sicherheit dort eher verborgen ist.

Körperlich empfinde ich den Begriff als entspannend. Der Impuls geht dahin mich zusammenzurollen und wie ein Fötus im Mutterbauch vor mich hin zu dämmern. Emotional ist das dann eher still – eine Art stiller und unbenannter Frieden – die turbulente Welt mit ihren Forderungen verbirgt sich vor mir.

Ich denke, dass Geborgenheit eine ganz wichtige, wenn auch unspektakuläre Qualität darstellt. In der Geborgenheit ist Erholung möglich, ein sicherer Raum, in dem die Samen der zukünftigen Projekte in Ruhe keimen können, um bei passender Gelegenheit austreiben zu können. Geborgenheit braucht intakte Hüllen und Grenzen, die Ungewissheit und Bedrohungen wirkungsvoll ausschließen können. Schön wird Geborgenheit dann, wenn der Innenraum behaglich ist. Für mich bedeutet das warm, still, trocken und weich.

Ich selbst fühle mich oft genug geborgen und ich hoffe für die vielen anderen Menschen, die ihre Geborgenheit verloren haben, dass sie sie wiederfinden werden. Meine Befürchtungen gehen dahin, dass die wirtschaftliche und politische Entwicklung in Zukunft wohl eher mehr Menschen entbergen wird.

Es fällt mir schwer, ein Erreichungsziel zu formulieren. Vielleicht das, die Vorzüge der Geborgenheit zu verkünden, um der lauten und schrillen Erlebniskultur eine ergänzende Qualität beizugeben. Und vielleicht auch, mich öfter an diese Möglichkeit zu erinnern, wenn die Alltagssorgen mir die Geborgenheit rauben.

Ich weiß nicht wie es zustande kommt, aber in der Abschlussstille fühle ich ein Vertrauen, als gäbe es eine bergendes Da-Sein, das meinen Sinnen verborgen ist und mich trotzdem umhüllt.

Wohl – Wollen

Aus Termingründen finde ich erst am Mittag zur Montagsstille. Es tauchen die Begriffe Wohl und wollen auf – ich bin gespannt.

In meinem Umgang mit mir selbst will ich mich gerne wohl fühlen. Das gelingt mir am besten, wenn ich spazieren gehe oder einfach in meinem Bett liege und vor mich hin träume. Andererseits ist das auch eine Gelegenheit, mir Gedanken über die Herausforderungen zu machen, mit denen ich mich nicht so wohl fühle, vor allem wenn es um Dinge geht, die ich will, aber nicht erreiche, dann liegt das Wollen quer zum Wohligen.

In meiner nahen Beziehungswelt wird das Wohlige zum Gemeinschaftsprojekt, das ich nur mitgestalten kann. Das Wollen der Beteiligten hat jedenfalls nicht immer dasselbe Ziel, aber wenn es dann einmal so ist, ist es auch besonders wohlig.

Das Wohl in der Gesellschaft ist für mich schwer zu bestimmen. Mein Eindruck ist, dass sich eher wenig Menschen wohl fühlen und dass etliche eigentlich ein anderes Leben wollen – eins mit weniger Sorgen, Druck und Ängsten. Ich selbst habe es auch nicht so leicht, mich in sozialen Zusammenhängen wohl zu fühlen, obwohl ich es manchmal wollen würde.

Auf der Empfindungsebene kann ich eine doppelte Bewegung wahrnehmen. Eine Sehnsucht nach Wohligkeit, Entspannung, loslassen – ich spüre das in der Brust und der oberen Wirbelsäule, ein nach-hinten-sinken in Vertrauen. Es kommt aber recht schnell der Impuls nach vorne, eine Anspannung in der Augenpartie und in den Brustmuskeln – assoziiert ist das mit etwas-tun-wollen. Als müsste ich erst genug getan haben, damit ich mich endlich wohlfühlen darf.

Emotional fühle ich ein sanftes Lächeln, eine ruhig Freude in Richtung des Wohligen. Der Impuls des Wollens ist eher mit so etwas wie Misstrauen verbunden.

Ich denke, das Wohl etwas mit stimmigen Umständen zu tun hat. Abwesenheit von Gefahr, Anregung im richtigen Maß, Gesundheit, Beziehung, Zugehörigkeit und Sinn. Ich denke auch, dass solche Umstände die eigentlichen Ziele des Wollens sind, dass das Missliche dabei ist, dass ich niemals auch nur annähernd die Kontrolle darüber erreichen kann, es mir auch so einzurichten.

Ich hoffe sehr, dass ich künftige günstige Umstände auch dazu nutzen kann, mich wohlig in sie einzufügen und nicht, mich womöglich von meinem Wollen daran hindern lasse. Eine Befürchtung wäre, dass ich mich von Schein-Wohligkeiten – z.B. Konsum von was auch immer – davon abbringen lasse, danach zu streben, dass spürbar Wohlige zu genießen.

Ich denke, ich habe eine Präferenz des Wollens gegenüber dem Wohligen und ein Schritt für mich wäre es, meine Wohligkeitstoleranz zu trainieren. Zu üben, dass ich wohlige Umstände auch genießen kann, dass sie mir Kraft geben können um danach wieder zu wollen.

In der Abschlussstille fällt mir ein Zitat von A.N. Whitehead ein – sinngemäß: Menschen wollen sich wohlfühlen. Wenn sie sich wohlfühlen, wollen sie sich noch wohler fühlen und wenn sie sich noch wohler fühlen, dann wollen sie sich noch wohler fühlen. So betrachtet eigentlich ganz einfach – wenn wir uns einfach nur miteinander wohlfühlen könnten. Aber das ist ein ganz anderes Thema.