Wohin bloß mit der Wut? Teil 1

Wut - Teil1

Wut als typisch menschliches Gefühl

Wut gehört zu den sog. „kategorialen Grundgefühlen“, was so viel bedeutet, dass dieses Gefühl „bauartbedingt“ von allen Menschen gefühlt wird. Im Gegensatz zu älteren Theorien ist Wut, oder allgemeiner „Aggression“, kein Trieb. Das heißt, es gibt keine körperliche Quelle von aggressiver Energie, die nach Entladung sucht. Menschen können durchaus längere Zeit verbringen, ohne sich zu ärgern. Zuverlässig ausgelöst wird Wut allerdings durch Schmerz. Schmerzen, körperliche oder emotionale, aktivieren den angeborenen Ausdruck der Wut, der sich gegen den Peiniger richtet. Die Regeln, wie dieser Ausdruck erlaubt ist, sind kulturell und familiär bestimmt.

Wut und Grenzen

Wut hat also durchaus biologische Anlagen ist aber in ihrem Ausdruck sozial begrenzt. Die Vermittlung zwischen Emotion und sozialer Grenze ist die Aufgabe des Ichs. Was wir umgangssprachlich ein „Ich“ nennen bildet sich entwicklungspsychologisch um das sechste Lebensjahr herum. Die Erfahrungen vor dieser Zeit fließen in die Ich-Bildung ein und dazu gehören auch Erfahrungen, wie die Eltern und die weitere Gemeinschaft mit der Wut des Kindes umgegangen sind. Die Regeln, die aus den Erfahrungen abgeleitet wurden, sind bei der Ich-Bildung schon verinnerlicht, ohne dass sie zwangsläufig bewusst wären.

Erfahrungen der Wut

Der Möglichkeitshorizont, in dem sich Wut-Erfahrungen abspielen können lässt sich durch folgende Grenzerfahrungen skizzieren. Von der sozialen Seite her wurde der Ausdruck von Wut ermutigt und gelobt – oder – der Ausdruck von Wut war streng verboten und wurde bestraft. Man mag sich diese beiden Extreme am Anfang und Ende einer Glockenkurve vorstellen. Die allermeisten Erfahrungen liegen irgendwo dazwischen. Von der Seite des Wütenden aus betrachtet sind die Extreme – Wut wird erfolgreich ausgedrückt und führt zu einer Veränderung der Situation und – Wut wird ohnmächtig erfahren, die Situation setzt sich fort. Entsprechend den Bereichen, in denen der Mensch Erfahrungen gemacht hat, wird er eine „Routine“ im Umgang mit seiner Wut entwickelt haben.

Alltag der Wut

Diese Routinen haben eine körperliche Verwirklichung gefunden, eine psychische Einstellung und zugehörige Glaubenssätze. Körperlich kann der Energielevel insgesamt vermindert werden, einzelne Muskeln oder ganze Muskelgruppen können hypoton (zu schlaff) werden, oder einzelne Muskeln/Muskelgruppen werden hyperton (zu angespannt). Die psychische Einstellung mag mehr am Pol einer tyrannischen Dominanz oder eher an einer unterwürfigen Schwäche angesiedelt sein. Glaubenssätze formulieren die Überzeugungen – Wut ist schlecht/böse/gut/die einzige Möglichkeit etc.
Für jede Einstellung gilt, dass sie zufrieden mit den Erfolgen ist, welche die Glaubenssätze vorgeben. Allerdings dringt diese Zufriedenheit nicht zu den körperlich-psychischen Schichten vor. Dort gilt der Ausdruck von Ärger dann als erfolgreich, wenn er zur Veränderung in der Beziehung geführt hat. Frieden um des Friedens willen ist dabei genauso unpassend wie die Vernichtung des Gegenübers.

Realming und Kommunikation

Realming ist Selbsterfahrung mit System. Eine weitere Säule dieses Systems ist die Kommunikation. Nun findet Kommunikation laufend statt. Bereits Babys kommunizieren und wenn man Paul Watzlawick glauben mag, dann kann man gar nicht nicht kommunizieren – jedenfalls dann nicht, wenn man in Sichtweite eines anderen Menschen ist.
Die Frage, was Kommunikation überhaupt ist und wie sie funktioniert, ist Gegenstand zahlreicher Wissenschaftsdisziplinen – Psychologie, Philosophie, Semantik, Linguistik, Semiotik, Systemtheorie und noch einige andere. Als gemeinsames Ergebnis könnte man feststellen, dass Kommunikation ein sehr komplexes Phänomen ist und dass sie qualitativ unterschiedlich auftritt. Das bedeutet, dass es mehr oder weniger erfolgreiche Möglichkeiten gibt, sich mit anderen zu verständigen.
Das führt zu Fragen nach den Kommunikationsfähigkeiten, die eine Verständigung begünstigen. Neben technischen Fähigkeiten, wie sie z.B. die „Metakommunikation“ von Friedemann Schulz von Thun, oder die „Gewaltfreie Kommunikation“ von Marshall B. Rosenberg lehren, gibt es auch persönlich-biografische Aspekte, die die Kommunikationsmöglichkeiten färben.

Kontakt

Diese biografischen Muster zeigen sich als Interesse an Kontakt. Wie interessant erscheint die Möglichkeit, sich mit anderen auszutauschen? Erscheint es überhaupt wünschenswert, sich einem Gesprächspartner zuzuwenden, sich ihm zu öffnen? Falls dieses Interesse eingeschränkt ist, mögen die Erfahrungen der Kindheit – z.B. Desinteresse der Eltern, eingeschränkte Gefühlsäußerungen, unzureichende Spiegelung – ihren Teil dazu beigetragen haben.

Verstehen fremder Affekte

Auch die Fähigkeit, die Gefühle des Kommunikationspartners zutreffend und mit Interesse wahrzunehmen, steht auf biografischen Füßen. Was gesagt wird soll so verstanden werden, wie es gemeint ist. Das Gemeinte ist dabei in der Regel emotional gefärbt. Wenn die Emotion nicht oder falsch verstanden wird, werden Missverständnisse deutlich wahrscheinlicher. Nebenbei bestätigt sich dabei die Erfahrung, dass Kommunikation nichts Erstrebenswertes ist.

Mitteilung eigener Affekte

Die Gefühle von anderen Menschen wahrnehmen zu können, korrespondiert mit der Wahrnehmungsfähigkeit für die eigenen Gefühle. Auch diese Fähigkeit kann biografisch erschwert sein. Gefühle brauchen Mitgefühl, sie müssen einen Wiederhall im Anderen finden, damit sie zutreffend identifiziert werden können. Wer als Kind häufig die Erfahrung macht, dass sich niemand für seine Gefühle interessiert, oder dass sich die Anderen über die Gefühle des Kindes lustig machen, verliert leicht die Lust, sich anderen Mitzuteilen.
Dabei sind Gefühle gewissermaßen das Salz in der Suppe der Kommunikation. Gefühle stellen subjektive Bewertungen von Situationen und Umständen dar. Sie sagen aus, wie es jemand findet, dass dies oder jenes geschehen ist. Ohne diese Zutat wird die Kommunikation schwierig. Gemeinsam etwas zu machen – was eine ursprüngliche Bedeutung des Wortes „Kommunikation“ ist – wird fast unmöglich.

Reziprozität

Eine gelingende Kommunikation erzeugt ein Wir-Gefühl. Die Partner sind wechselseitig aufeinander bezogen. Um zu diesem Wir zu kommen, braucht es die Bemühungen beider Beteiligter – Gemeinsamkeit entsteht nicht von allein. Die Fähigkeit und das Interesse, sich auf einen Kommunikationspartner einzuschwingen ist die Voraussetzung dafür. Dass auch diese Fähigkeit in der Kindheit mehr oder weniger gut erlernt wurde liegt nahe. Wer als Kind nicht selbst erlebt hat, dass andere sich auf ihn einschwingen, wird sich für das „Wir“ eher wenig interessieren.
Hilfreich ist für die Gegenseitigkeit auch eine gewisse Flexibilität. Situationen können sich ändern und Mitmenschen haben Launen und Tagesformen. Günstig für die Kommunikation ist es, wenn der Partner sich auf Launen und Kontexte einstellen kann. Kindheitserfahrungen wie stereotype Kommunikationen, oder Kommunikation unter Vorbehalt (z.B. nur wenn Du nett bist, rede ich mit Dir.), erschweren diese Fähigkeit.
Die vielleicht größte Herausforderung in kommunikativen Situationen ist wohl ein Konflikt. Gegenläufige Interessen, unterschiedliche Standpunkte, abgelehnte Bitten oder Forderungen bringen Enttäuschung, Ärger, Angst oder Trauer ins Spiel. Mit diesen Gefühlen umgehen zu können, Ihnen einen angemessenen Ausdruck geben zu können ist nicht einfach und nicht unmöglich. Unterstützt wird die Konfliktfähigkeit durch Selbstwahrnehmung, Selbststeuerung und Fremdwahrnehmung.

Die „Säulen“ von Realming sind wohl eher Stränge, die sich gegenseitig stützen und verstärken.

Realming und Fremdwahrnehmung

Realming und Fremdwahrnehmung

Realming ist Selbsterfahrung mit System. Eine weitere Säule dieses Systems ist die Fremdwahrnehmung. Wozu aber soll Fremdwahrnehmung nützlich sein? Die Prinzipien der Selbstwahrnehmung und Selbststeuerung können sich erst dann richtig entfalten, wenn ich auch die mir wichtigen Menschen gut wahrnehmen kann. Ebenso wird die Selbstwahrnehmung von der Fremdwahrnehmung gestützt und ergänzt.

Die Grenze zwischen dir und mir

Die Instanz, die wir „Selbst“ nennen braucht eine lange Zeit, um sich zu entwickeln. In der frühen Lebenszeit ist es schwierig auseinanderzuhalten, ob das gute oder schlechte Gefühl von mir kommt oder von Mama/Papa, die sich gerade freuen oder ärgern. Wir lernen die Erwartungen unserer Eltern zu erraten und identifizieren uns auch gerne mit diesen Erwartungen, wir wollen das tun, was von uns erwartet wird. Manche Kinder entwickeln geradezu erstaunliche Fähigkeiten, die Gedanken ihrer Eltern zu „lesen“, und auch dabei kann es um die Autorenschaft des Gedankens leicht zu Verwechslungen kommen.
Heranwachsende müssen lernen, ihre eigenen Impulse und Gedanken von denen von anderen Menschen zu unterscheiden. Ebenso ihre eigenen Gefühle von denen anderer – auch und gerade weil Gefühle ein gewisses Ansteckungspotenzial entfalten. Wenn das zuverlässig gelingt fühlt ein Mensch sich gut abgegrenzt.

Einfühlendes Verstehen

Wenn wir uns gut fühlen wollen, ist es wichtig, mit anderen mitfühlen zu können. Mitgefühl ist keine Gabe, die Menschen in die Wiege gelegt ist. Die früheste Wurzel des Mitgefühls ist die Fähigkeit zur Imitation. Im Nachmachen der Gesten und der Mimik des Gegenübers werden ähnliche Gefühle wahrgenommen, wie die des Imitierten.
Erst allmählich kommt dann die Fähigkeit des Mitleids hinzu. Hier erfüllen die Gefühle des Gegenübers das psychische Erleben des Kindes ganz und gar. Der Schmerz des Anderen wird als eigener Schmerz leidvoll wahrgenommen. Erst wenn der innere Selbst Raum stabil ist, die eigenen Gefühle sicher erkannt werden können, kann der Schmerz des Anderen nachvollzogen werden, ohne dass er das Selbst überschwemmt.
Mit dieser Fähigkeit ist es möglich bedeutsame Beziehungen aufzunehmen und vor allem aufrecht zu erhalten.

Andere Menschen haben ein eigenes Selbst

Wie leicht kann es geschehen, dass wir eigene Anteile in anderen Menschen finden, oder dass wir den Anderen nicht mehr sehen wollen, weil er uns enttäuscht hat? Im Verlauf der Entwicklung erlebt das Kind die Bezugspersonen als „extra für mich da“. Dies ermöglicht den Aufbau von stabilen inneren Bildern und Geschichten über die Bezugspersonen.
Erst allmählich wird einem Kind klar, dass die Eltern auch noch andere Interessen als das Kind haben, dass es nicht im Mittelpunkt aller Interessen steht. Diese Kränkung zu verarbeiten ist nicht immer einfach. Mit der Zeit und wachsenden kognitiven Fähigkeiten wird das Kind dann hoffentlich reif für die Einsicht, dass jeder Mensch ein Mittelpunkt in einem subjektiven „Universum“ ist, dass Menschen biografische Wesen mit Stärken und Schwächen sind, dass sie eigene Bedürfnisse, Rechte und Interessen besitzen.

Andere Menschen haben auch Gefühle

In einer bedeutsamen Beziehung zu leben ist ein Stück Lebensqualität und eine Ressource ersten Rangs. Das Beziehungsleben kann erblühen, wenn die Partner sich füreinander interessieren. Von besonderem Interesse sind die Gefühle des jeweils anderen. Dabei können auch die negativen Gefühle wie Trauer, Ärger, Verachtung zum Zuge kommen, wenn sie denn dem Kontext angemessen sind.
Aber auch wenn ein Partner sich über den anderen ärgert stellt das nicht gleich die Beziehung überhaupt in Frage. Es ist möglich, sich über die Gefühle, deren Anlass und den Umgang damit, zu sprechen. Nach der Klärung kann dann auch wieder Freude, Zuneigung oder Anteilnahme entstehen.

Realming bietet die Gelegenheit, seine eigenen Fähigkeiten in der Fremdwahrnehmung kennen und verbessern zu lernen. Realming vermittelt Wissen über die „Logik“ der Gefühle und bietet Spielraum für neue Erfahrungen.

Realming und Selbststeuerung

Realming ist Selbsterfahrung mit System. Eine weitere Säule dieses Systems ist die Selbststeuerung. Wozu aber soll Selbststeuerung nützlich sein? Zur ersten Annäherung möchte ich folgendes Zitat des Bewusstseinsphilosophen Thomas Metzinger vorstellen:
„Es wird deutlich, dass nicht nur Bewusstsein im Allgemeinen, sondern auch das bewusste Selbsterleben ein graduelles Phänomen ist. Es nimmt an Stärke zu, sobald ein Organismus eine immer größere Sensibilität für einen inneren Kontext entwickelt und gleichzeitig seine Fähigkeiten zur Selbstkontrolle erweitert.“
Ich finde, dieses Zitat verbindet den Beitrag über die Selbstwahrnehmung ganz selbstverständlich mit der Selbststeuerung. Wenn ich mich selbst besser wahrnehme, bin ich auch in einer besseren Ausgangsposition, um mich besser durchs Leben zu steuern.

Toleranz für Gefühle

Welche Aspekte spielen dabei eine Rolle? Zunächst einmal geht es um die Toleranz für Gefühle. Da alle Bewusstseinsprozesse mit Gefühlen einhergehen, und Gefühle auch wichtige Hinweisgeber für anstehende Handlungen sind, ist es hilfreich, einen inneren Umgang mit Gefühlen zu beherrschen.
Das fällt i.d.R. leicht, wenn positive Gefühle wie Freude, Lust, Neugier oder Stolz wahrgenommen werden. Schon schwieriger wird es mit den negativen Gefühlen wie Zorn, Neid, Eifersucht, Scham oder Schuldgefühl. Besonders schwierig aber können Ambivalenzen fallen. Wenn ich einerseits einen Menschen sehr schätze und gleichzeitig sehr wütend auf ihn bin.
Die Kenntnis der eigenen Gefühlswelt entspricht der Fähigkeit, seine Gefühle benennen zu können. Was aber tun mit diesen Gefühlen. Nicht wenige Menschen fühlen sich unsicher, wenn sie Ärger, Trauer, Scham etc. fühlen. Sie versuchen diese Gefühle vor anderen und vielleicht sogar vor sich selbst zu verstecken. Dass sie damit wichtige Hinweise auf den Kontext, der der Anlass für diese Gefühle ist, verlieren, ist der Preis, den sie dafür zahlen müssen.
Gefühle sind dem Menschen angeboren – oder: Man kann nicht nicht fühlen! Gefühle bewerten zwischenmenschliche Interaktionen. Ein Lob erfreut mich, eine Rüge beschämt mich vielleicht; auf Erfolge bin ich stolz und bei einer Niederlage vielleicht bedrückt. Nun wird jedes schöne Gefühl relativ schnell vorbeigehen – das Lob versinkt wieder im Alltag, der Sieg wird über der Aussicht auf den nächsten Wettkampf vergessen.
Negative Gefühle besitzen die Eigenschaft, länger anzuhalten. Der Ärger, den ich auf jemanden habe, weil er mich ungerecht behandelt, kann nicht so recht vergehen, wenn die Situation dieselbe bleibt. Die Trauer über einen Verlust braucht Zeit bis sie vergehen darf.
Besonders hartnäckig halten sich Ambivalenzen. Sie bringen mit sich, dass sie sich nach keiner Seite hin auflösen können. Dem einen Gefühl folgen, hieße das andere zu verraten. Das ist eine ziemlich lähmende Konstellation, die zu einem unguten Grundgefühl führen kann.
Inneres Handeln mit Gefühlen ist eine Voraussetzung für ein angemessenes äußeres Handeln. Wenn ich mir über meine Gefühle im Klaren bin, kann ich sie einer Situation zuordnen und abwägen, welche Handlungen sinnvoll wären. Ohne diese Fähigkeit bin ich in Gefahr, die Gefühle einfach auszuleben – ohne Rücksicht auf eigene oder fremde Verluste. Ein ziemlich sicheres Mittel, um für schlechte Gefühle auch in der Zukunft zu sorgen.

Umgang mit Selbstwert

Unsicherheit mit Gefühlen, oder auch das Vorherrschen von negativen Gefühle und Ambivalenzen nagen am Selbstwert. Das „Selbstwertsystem“ ist ebenfalls bauartbedingt menschlich. Ein schlechter Selbstwert lässt uns unsicher und verzagt sein – auf die Dauer kann das zu Krankheit und Depression führen.
Je nach biografischer Vorbelastung kann es sich schwierig gestalten, seinen Selbstwert wahrzunehmen. Vielleicht braucht man dauernd Lob von anderen, macht sich größer als man ist, ist empfindlich gegen Kritik und andere Meinungen oder wertet sich selbst sogar noch weiter ab.
Natürlich gelingt im Leben nicht alles, was man sich vornimmt. Es gibt Niederlagen oder Missgeschicke, man begeht einen Fehler, eine Dummheit und ärgert sich über sich selbst. Wenn es möglich wird, sich selbst zu verzeihen, den Fehler in ein angemessenes Verhältnis zum sonstigen Gelingen zu bringen, wird der Selbstwert darunter nicht lange leiden.

Umgang mit Impulsen

Die menschliche „Bio-Natur“ sorgt dafür, dass wir ständig von inneren Impulsen angestoßen werden. Ein großer Bereich liegt in der Sexualität, der andere im Umgang mit Aggressionen. Die Quelle der Sexualität liegt in der biologischen Anlage, sie ist autonom. Das Ausdrucksverhalten von Aggression ist ebenfalls angeboren, ihr Auslöser ist allerdings stets situativ.
Beiden Bereichen gemeinsam sind die hohe Energie und damit die Intensität der Gefühle. Ebenfalls gemeinsam ist ihnen, dass ihre Ausdrucksmöglichkeiten von der Gesellschaft begrenzt werden. Es geht also darum, diese Impulse einerseits in den Dienst des Ichs zu nehmen und andererseits nicht gegen gesellschaftliche Regeln zu verstoßen.
Dieses Kunststück hinzubekommen ist nicht ganz einfach. Nicht selten werden solche Impulse verleugnet, umgelenkt oder unterdrückt. Am anderen Ende des Spektrums wäre unkontrolliertes Verhalten, das jedem Impuls sofort nachgibt.
Eine bewusste Steuerung, die auf einer guten Selbstwahrnehmung beruht, ist die Voraussetzung für eine erfüllende Sexualität und für Aggression, die im Dienst der Selbstwirksamkeit steht. Wenn nun noch ein reflektiertes Wertesystem, eine Ethik hinzukommt, wird auch der Weg zu einem positiven Selbstwert leichter.

Voraussicht

Die Qualität des sozialen Miteinanders beeinflusst das Befinden stark. Menschen, die aufeinander Rücksicht nehmen, einander anerkennen, Kompromisse eingehen können, Widersprüche stehen lassen können fühlen sich wohl miteinander.
Das erfordert die Fähigkeit der Einzelnen, sich die Reaktionen von anderen vorstellen zu können. Wenn ich immer derjenige bin, der nicht abspült, den Kühlschrank plündert, nachts laut Musik hört etc. muss ich mich im Prinzip nicht wundern, wenn ich bald ohne Wohnung bin.
Das andere Ende des Spektrums wäre hier, dass nur zählt was andere wollen, dass ich jedem, jeden Wunsch von den Augen ablese und dabei mich und meine Bedürfnisse völlig vergesse.
Die Kunst des Kompromisses beruht auch auf der Fähigkeit, sich Kritik, bzw. Rückmeldungen von anderen anhören zu können, und sie ggfls. als Impuls zur Verhaltensänderung annehmen zu können.

Selbststeuerung ist ein Aspekt, der bei der Realming eine große Rolle spielt. Das Zauberwort heißt spielerisches Ausprobieren. In der Regel verwenden die meisten Menschen nur wenige mögliche Handlungsoptionen, einfach deswegen, weil sie andere Möglichkeiten nie kennengelernt, geschweige denn erfahren haben.

Realming und Selbstwahrnehmung

Realming ist Selbsterfahrung mit System. Eine Säule dieses Systems ist die Selbstwahrnehmung. Wozu aber soll Selbstwahrnehmung nützlich sein?
Um einer Antwort etwas näher zu kommen hilft vielleicht eine weitere Frage: Was ist damit gemeint, wenn jemand sagt: „Ich selbst …!“? Da bezieht sich ein Mensch auf sich selbst als eine Person, die einer bestimmten Ansicht zuneigt, gewisse Gewohnheiten pflegt, bestimmte Vorlieben und Abneigungen hat – eine Person also, die über eine Identität verfügt.
Identität bedeutet so viel wie „dieses Wesen“, das sich von allen anderen Wesen unterscheidet. Diese Unterschiede sind u.a. körperlicher Natur, sozialer Natur und sie sind psychischer Natur. Personen leben psychisch und sozial in einem Selbstverhältnis. Das heißt, dass sie nicht nur leben, sondern auch wissen, dass sie leben und ihr Leben führen müssen.
Wie gewinnen nun Menschen Wissen von sich selbst? Üblicherweise lernen sie das im Verlauf ihres Lebens. Sie bekommen Rückmeldungen von ihren Eltern, Geschwistern, Freunden, Lehrern und anderen Menschen mit denen sie zu tun haben. „Du bist aber ein braves Kind“; „Sei doch nicht so gierig!“; „Du hast echt Geschmack.“; „Du bist zu faul!“ usw. usf. Diese Rückmeldungen treffen auf eine innere Wahrnehmung, eben die Selbstwahrnehmung.
In die Selbstwahrnehmung fließen solche Aspekte ein, wie körperliche Empfindungen, emotionale Färbungen, bildliche Vorstellungen, Identifikationen und Reflexionen über all das. So betrachtet ist Selbstwahrnehmung dann eine wichtige Ergänzung für Rückmeldungen, die wir von anderen bekommen. Mit eingeschränkter Selbstwahrnehmung könnte man nicht Kritik, kritisch betrachten, Lob nicht auf seine Aufrichtigkeit prüfen, oder Ablehnung nicht nachvollziehen.
Selbstwahrnehmung ist auch wesentlich für Entscheidungen. Je wichtiger die Entscheidung, desto wichtiger die Selbstwahrnehmung. Das sogenannte „Bauchgefühl“, oder die „Intuition“ sind solche Selbstwahrnehmungen, die uns warnen oder ermutigen können. Bauchgefühle sind meist subtil und rational kaum fassbar – sie beruhen in der Regel auf Lebenserfahrungen. Lebenserfahrungen können verschieden gefärbt sein – eher positiv oder eher negativ, die dann zu eher optimistischen oder eher pessimistischen Bauchgefühlen führen. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Chancen verpasst oder Risiken leichtfertig eingegangen werden.
Neue Erfahrungen und verfeinerte Selbstwahrnehmung können die Verzerrungen der Vergangenheit ausgleichen und so zu angemesseneren Entscheidungen beitragen. Sie ermöglichen, neu über sich nachzudenken, sein Selbstbild detaillierter zu zeichnen, den Körper als Ressource nutzen zu lernen, Gefühlsnuancen deutlicher unterscheiden zu können und seine Identität um evtl. unerwartete Eigenschaften und Fertigkeiten zu erweitern.