Abgrenzung – Ausgrenzung

In politisch turbulenten Zeiten treiben diese Themen auch in meine Stille hinein.

In meinem Selbsterleben kenne ich Abgrenzungen gegen Aspekte meiner Biografie, gegen Impulse, die aus kindlicher Verletzung auftauchen. Früher habe ich versucht, solche Aspekte von mir auszugrenzen – habe versucht, den Kontakt mit ihnen zu vermeiden. Heute gelingt es mir, damit in Kontakt zu sein, ohne Furcht, von ihnen überwältigt zu werden.

Mit meinen Lieben gibt es auch Abgrenzungen. In der Regel gehen wir respektvoll mit den Grenzen des jeweils anderen um – auch hier, Grenzen als Möglichkeit eines Kontakts, Grenzen, die Gespräche erlauben – ohne Zäune oder Mauern.

Grenzthemen im sozialen Bereich gibt es zuhauf. Besorgniserregend erscheinen mir, die, wieder in Mode kommenden, ausschließenden Grenzen. Sie erzeugen in mir ein Bild von Menschen, die auf dem Meer gekentert sind. Sie versuchen, sich auf ihre Mitmenschen zu stellen um noch ein paar Minuten länger, Luft zu bekommen.

Auf der Empfindungsebene spüre ich die verschiedene Qualität der beiden Grenzbegriffe. Mit der Abgrenzung empfinde ich mich vollständig, fest – ein ruhiges und souveränes Gefühl. Mit dem Ausgrenzungsbegriff spüre ich eine Tendenz mich rückwärts zu bewegen, mein Kopf geht nach hinten, meine Augen ziehen sich zusammen – die Gefühle liegen im Spektrum von Trauer, Angst, Wut und Empörung.

Ich denke, dass Grenzen eine notwendige Einrichtung für das Leben überhaupt sind. Grenzen ermöglichen Kontakte zwischen Individuen. Ausgrenzung als soziales Phänomen mag der Gruppe innerhalb der Grenze als Stärkung dienen. Das „Territorium“ der Gruppe – geistig, emotional und physikalisch – scheint so gesichert zu sein. Dass in einem Moment, wo das gemeinsame Schicksal der Menschheit so offensichtlich geworden ist, der Impuls auftaucht, sich ein sicheres Plätzchen zu schaffen, erscheint mir einerseits menschlich – schließlich stammen wir von Primaten ab; Daran zu glauben, dass es möglich sein sollte, sich auf diese Art exklusive Sicherheit zu verschaffen, erscheint mir wahnhaft.

Die derzeitige politische Situation weckt in mir eher Befürchtungen, dass die Ausgrenzungen zu noch mehr Gewalt führen werden. Mir bleibt übrig zu hoffen, dass sich genügend Menschen gegen diesen Wahn auflehnen werden.

Ich möchte für mich erreichen, in dieser Situation nicht still zu sein, nicht nur ein Zuschauer zu sein, sondern mich mit anderen Menschen zu verbinden, die sich ebenfalls eine andere Zukunft für die Menschheit auf dieser einen Erde wünschen. Mit Menschen, die gemeinsam dafür tätig werden wollen, dass die Erde die Heimat aller Menschen sein kann.

In der Abschlussstille fühle ich mich gut abgegrenzt und entschlossen, meine Stimme gegen Ausgrenzung laut werden zu lassen.

Wahrheit – Gewahr Sein

Aus der Stille steigt der Begriff der Wahrheit – der Faktizität auf, ich werde mir des Themas gewahr.

In meinem Selbstumgang kenne ich die Neigung, mir nicht über jeden Aspekt meines Innenlebens gewahr werden zu wollen. Unangenehme Aspekte verdränge ich manchmal oder brauche sogar eine Spiegelung von jemandem, damit ich mir meiner  selbst gewahr werden kann. Andererseits lebe ich auch nach dem Motto, mich nicht über mich selbst belügen zu wollen. Ich nehme mir also öfters die Zeit, mir die Geschichten, die ich mir über mich erzähle, auf Übertreibungen und Auslassungen zu überprüfen.

In meinem Beziehungsleben kenne ich die Thematik, dass ich nicht alles was mich beschäftigt mitteile. Wenn es darum geht, etwas anzusprechen, was die Beziehung betrifft brauche ich öfters eine gewisse Anlaufzeit, aber auch  hier habe ich den Anspruch an mich, aufrichtig sein zu wollen. Dispute über die Faktizität von erledigten oder nicht erledigten „Jobs“  meines Kindes, trainieren meine Geduld.

Wahrheit im sozialen Umfeld erscheint mir delikater. Wem gegenüber kann ich wie aufrichtig sein, ohne Nachteile befürchten zu müssen? Und: Wie kann ich meine Wahrnehmungen mitteilen, die mir Mitteilens wert erscheinen? Und auf meiner Seite – in wie weit kann ich meinen Mitmenschen in einem gegebenen Kontext vertrauen, dass sie aufrichtig zu mir sind? Fragen über Fragen und keine Patentlösung in Sicht.

Auf der Empfindungsebene stellt sich mit dem Begriff sofort eine Aufrichtung und Öffnung ein. Ich fühle mich wie innerlich geklärt, durchlässig und durchströmt.

Meine Stimmung wird ruhig, heiter bis zuversichtlich.

Ich denke, dass Wahrheit etwas über das „Wirklich Seiende“ aussagt. Wahrheit ist eine Bewertung über eine Aussage über etwas, das tatsächlich und faktisch stattfindet oder stattgefunden hat. Ich denke auch, dass Wahrheit nicht einfach nur in meinem Bewusstsein gefunden werden kann – es ist meine bewusste Wahrnehmung von etwas, das ich nicht selbst bin, das aber faktisch existiert (heraustritt). Dabei muss nicht alles, wessen ich  mir gewahr werde auch wahr sein. Ich bleibe ein für Irrtümer anfälliger Mensch.

Ich hege immer noch die Hoffnung, dass Wahrheit auch konsensfähig ist, dass die Offensichtlichkeit einer Wahrheit, den Blick auf die wirklich wichtigen Themen freigeben kann. Meine Ängste beziehen sich auf die inzwischen allgegenwärtigen „Fake-News“ und deren zerstörerisches Wirken im politischen Feld.

Ich werde weiter um die Wahrheit ringen und fühle mich bereit, für die Wahrheit notfalls zu streiten.

In der Abschlussstille fühle ich mich jetzt ernsthafter als zu Beginn. Aufgerichtet und immer noch offen erscheint so etwas wie ein Pflichtgefühl – der Wunsch und der Wille, die Wahrheit zu pflegen.

Schicksal – Geschickt

Ich sträube mich ein wenig, diese Begriffe, die aus meiner Stille auftauchen, näher zu betrachten, aber ich will es dennoch wagen.

Ich betrachte es als mein Geschick, dass ich in diese Zeit, in diese Gesellschaft, in meine Herkunftsfamilie und in diesen Körper „geschickt“ wurde. Das Wort impliziert einen Absender, als solchen kann ich meine Eltern sehen. Dieses Geschick ist mir in meinem Selbstverhältnis inzwischen selbstverständlich geworden und ich kann mich erinnern, dass ich nicht immer damit einverstanden war.

In der Beziehung zu meinen Lieben habe ich eher das Gefühl, auch eine Wahl gehabt zu haben und immer noch zu haben. Es ist meine Entscheidung, dass ich „Ja“ zu ihnen sage und zumindest meine Frau habe ich selbst gewählt.

Im nahen sozialen Raum erlebe ich mich auch, zumindest teilweise, wirkungsvoll, nicht einfach ausgeliefert. Im ferneren sozialen Raum erlebe ich mich eher ohnmächtig, eben geschickt, bzw. geworfen und mitunter auch ausgeliefert.

Auf der Empfindungsebene erlebe ich ein Hin und Her. Beim Begriff „Geschick“ beugt sich mein oberer Rücken und meine Brust fühlt sich eng an. Beim Begriff „Schicksal“ empfinde ich eine aufrichtende Kraft an der Wirbelsäule.

Die Gefühle, die damit einhergehen sind im ersten Fall ein wenig depressiv gefärbt. Für das Schicksal spüre ich einen positiven Trotz und ein wenig Ängstlichkeit.

Ich denke, mein Geschick umfasst die Aspekte meines Lebens, auf die ich keinen Einfluss habe, die ich nicht wählen kann, bei denen ich mich allenfalls entscheiden kann, wie ich mit ihnen umgehe – hier muss ich mitunter um meine Freiheit kämpfen, ohne Hoffnung, sie jemals verwirklichen zu können. Schicksal hängt dagegen von meinen Entscheidungen, also meiner Gestaltungsfreiheit ab. Was ich selbst beginne, selbst verantworte, das hat für mich eine schicksalhafte Qualität.

Ich hoffe sehr, dass ich die richtige Balance finde, zwischen der aktiven Annahme meines Geschicks und eines geschickten Umgangs damit und der glücklichen und hoffentlich erfolgreichen Wahl meiner Initiativen. Es bleibt eine gewisse Furcht vor dem „kosmischen Kicherfaktor“, der alle Strebungen auf geheimnisvolle Weise hintergehen könnte.

Mein Ziel ist, immer wieder den Mut zu finden, mein Schicksal zu wählen, zu erreichen, dass ich mein Leben wirklich als meine Wahl gestalte.

In der Abschlussstille fühle ich mich ermutigt, mein Schicksal in die Hand zu nehmen, für meine Werte einzustehen, aktiv darin zu sein, die Welt mitzugestalten.

Gesellig – Gesellschaft

Die Frage nach der Gesellschaft, dem Sozialen, den Kulturen und der Platz eines Individuums – eines allgemeinen Einzelnen – darin, treibt aus der Stille in mein Bewusstsein. Als personales Subjekt bin ich davon natürlich auch selbst betroffen.

Das Soziale hat sich tief in meinen Selbstumgang eingeschrieben. Die Werte, Normen, Selbstverständlichkeiten meiner Kultur prägen auch meinen Selbstumgang. Bürgerliche Werte, 68er Ideale oder die Anforderungen des wirtschaftlichen Wertsystems und etliche andere Fragmente wetteifern, z.B. bei meiner Selbstbewertung, um Beachtung.

Auch in das Zusammenleben mit meinen Lieben sickert das soziale Kontinuum ein. Ganz unvermeidlich spielen hier verschiedene Wertsysteme eine Rolle, wenn es um so banale Fragen wie Wohnungseinrichtung, Essgewohnheiten oder Freizeitbeschäftigung geht. Ob wir mit oder gegen eine solche Strömung leben wollen, bleibt unserer Entscheidung überlassen – ignorieren können wir die Einflüsse nicht.

Das Soziale des Sozialen ist für mich die Frage der globalen Sozialität. Fragen darüber, wie die Weltgemeinschaft miteinander umgeht, wie sie ihre Ressourcen verteilt und welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Kulturen herrschen – Fragen, die mich schon seit einiger Zeit bedrängen.

Auf der Empfindungsebene nehme ich sehr schnell eine ambivalente Bewegung wahr – von innen nach außen der sich weich anfühlende Wunsch nach Geselligkeit, die Wärme einer freundlichen Gemeinschaft – miteinander lachen, tanzen oder Blödsinn machen. Dagegen von außen nach innen – eine Verfestigung, eine hohe Wachsamkeit und auch eine Tendenz mich kleinzumachen.

Auf der Gefühlsebene ringen entsprechend Sehnsucht und Heiterkeit gegen die Furcht vor Fremdbestimmung, gegen Misstrauen, Rückzug und Trotz.

Ich denke, dass dieses Spannungsverhältnis zwischen personalem Erleben und sozialen Norm Ansprüchen nicht auflösbar ist. Ich denke, Menschen sind schon biologisch auf Geselligkeit angelegt – bringen eine hervorragende neuro-hormonelle Ausstattung dafür mit, miteinander die besten Überlebenschancen zu gestalten und sich dabei miteinander wohl zu fühlen. Ich denke allerdings auch, dass das Soziale eine eigenständige Form von Realität darstellt, gegen die ich als Einzelner wenige Wirkmöglichkeiten besitze.

Mein Blick auf das Soziale ist im Moment eher sorgenvoll. Die Krisenstimmung, die Spaltungstendenzen, nicht nur in der deutschen Gesellschaft, erlebe ich teils sogar als bedrohlich. Meine Hoffnungen darauf, dass doch bald wieder etwas Vernunft in die Debatten kommt, scheinen mir oft selbst naiv.

Meine Ziele bezüglich des Sozialen sind einerseits tagesaktuell darauf gerichtet, wie ich meinen Platz in dieser Gesellschaft bewahren kann, wie ich mein Leben entsprechend meinen Vorstellungen in dieser Gesellschaft gestalten kann. Ein fantastisches Ziel ist, ein utopisches Bild von einer globaler Gesellschaft zu entwickeln und dafür mit anderen zu denken, zu streiten, zu planen und zu handeln.

In der Abschlussstille fühle ich mich trotz der Schwere des Themas jetzt leichter, ruhiger und fast schon etwas zuversichtlich – es hat mir gut getan, mich mit meinen Zielen zu verbinden und sie einfach aufzuschreiben.

Weihnachtsgedanken

Weihnachten ist das Christliche Fest der Geburt des „Heilands und Erlösers“ und damit des Hoffnungsträgers dafür, dass „Alles wieder gut wird“. Es kann sich damit wunderbar in vorchristliche Glaubenssysteme einfügen – dem Fest der Wiedergeburt der Sonne, nach der längsten Nacht. Gerade diese „ewige Wiederkehr“ der lebenspendenden Sonne und des Lichts vermittelt ebenso den Gedanken des „Alles wird wieder gut“, als auch das Gefühl der Hoffnung,  die ja bekanntlich als letzte stirbt.

Die Weihnachtszeit soll doch bitte schön ein Fest der Liebe sein (au ja!), die Krisen sollen sich mal für eine Weile beruhigen oder doch mindestens in den Hintergrund treten, damit sie meine festliche und liebevolle Stimmung nicht stören.

Mit dem Realming Modell kann ich mich selbst fragen, ob ich in liebevoller Stimmung bin, ob ich mich über die Geburt Christi freue, ob ich Hoffnung finde für die Zukunft. Ich kann schauen, welches Ritual ich mit meinen Lieben, meiner Familie und Freunden feiern will und kann mich fragen, wieweit dieses Datum meine ferneren sozialen Bezüge berührt.

Ich selbst kann (mit mehr oder weniger Mühe) das ganze Jahr über, meinen Kontakt zu Liebe und Hoffnung finden – spüre dann eher einen gewissen Trotz, wenn ich das gewissermaßen auf Kommando tun soll.

Die  Rituale in unseren(Herkunfts- und eigenen) Familien geben mir ein Gefühl von Vertrautheit, eine Art Erneuerung und Wiederkehr von Altbekanntem, das sich auch irgendwie wohlig anfühlt.

Im sozialen Feld finde ich jede Menge Reibungspunkte – Kommerzialisierung, Verdrängung von Krieg und Elend, Ungerechtigkeit die weh tut und vergessen wird. Auf der anderen Seite die Rituale des Glockengeläuts, der Adventsgeschichte, viele Kerzen und Glitzer, die alle zusammen so etwas ambivalent Heimeliges für mich haben.

Mir gefällt ein regelmäßiges Ritual des Innehaltens, der Besinnungspause, der Zeit füreinander. Alle Jahresfeste erinnern uns auch daran, dass wir auf dem Planeten Erde durch ein unermessliches Weltall rasen, dass diese Erde sich um sich selbst und um die Sonne dreht und so die Illusion der ewigen Wiederkehr erzeugt.

In seiner christlichen Wendung werden wir zu Weihnachten daran erinnert, dass es wichtig ist, seine Mitmenschen zu respektieren und möglichst zu lieben, mildtätig zu sein, zu vergeben und verantwortungsvoll zu handeln. Ich persönlich brauche dazu nicht, die Dogmatik der Kirchen, es gelingt mir (meistens) diese Haltung aus Einsicht zu gewinnen. Dennoch bin ich froh, dass es Institution gibt, die sich der Aufgabe verschrieben haben, die Menschen an ihre Mitmenschlichkeit zu erinnern.

Ich finde, dieses Jahr hat gezeigt, dass es immer schwieriger wird, alles wieder gut werden zu lassen. Die Komplexität der  sozialen/politischen Prozesse hat sich zu neuen Höhen aufgeschwungen, die ökologischen Zustände haben sich (teilweise) zu Phasen entwickelt, aus denen es kein Zurück mehr gibt. Sicher tut es gut, die Sorgen für eine Weile auszublenden, aber ich hoffe, dass die Kraft, die in dieser Zeit getankt werden kann, im nächsten Jahr dafür genutzt wird um eben nicht wieder alles so weiter zu machen, wie bisher.

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern eine schöne Weihnachtszeit und einen guten Übergang ins neue Jahr!