Schicksal – Geschickt

Ich sträube mich ein wenig, diese Begriffe, die aus meiner Stille auftauchen, näher zu betrachten, aber ich will es dennoch wagen.

Ich betrachte es als mein Geschick, dass ich in diese Zeit, in diese Gesellschaft, in meine Herkunftsfamilie und in diesen Körper „geschickt“ wurde. Das Wort impliziert einen Absender, als solchen kann ich meine Eltern sehen. Dieses Geschick ist mir in meinem Selbstverhältnis inzwischen selbstverständlich geworden und ich kann mich erinnern, dass ich nicht immer damit einverstanden war.

In der Beziehung zu meinen Lieben habe ich eher das Gefühl, auch eine Wahl gehabt zu haben und immer noch zu haben. Es ist meine Entscheidung, dass ich „Ja“ zu ihnen sage und zumindest meine Frau habe ich selbst gewählt.

Im nahen sozialen Raum erlebe ich mich auch, zumindest teilweise, wirkungsvoll, nicht einfach ausgeliefert. Im ferneren sozialen Raum erlebe ich mich eher ohnmächtig, eben geschickt, bzw. geworfen und mitunter auch ausgeliefert.

Auf der Empfindungsebene erlebe ich ein Hin und Her. Beim Begriff „Geschick“ beugt sich mein oberer Rücken und meine Brust fühlt sich eng an. Beim Begriff „Schicksal“ empfinde ich eine aufrichtende Kraft an der Wirbelsäule.

Die Gefühle, die damit einhergehen sind im ersten Fall ein wenig depressiv gefärbt. Für das Schicksal spüre ich einen positiven Trotz und ein wenig Ängstlichkeit.

Ich denke, mein Geschick umfasst die Aspekte meines Lebens, auf die ich keinen Einfluss habe, die ich nicht wählen kann, bei denen ich mich allenfalls entscheiden kann, wie ich mit ihnen umgehe – hier muss ich mitunter um meine Freiheit kämpfen, ohne Hoffnung, sie jemals verwirklichen zu können. Schicksal hängt dagegen von meinen Entscheidungen, also meiner Gestaltungsfreiheit ab. Was ich selbst beginne, selbst verantworte, das hat für mich eine schicksalhafte Qualität.

Ich hoffe sehr, dass ich die richtige Balance finde, zwischen der aktiven Annahme meines Geschicks und eines geschickten Umgangs damit und der glücklichen und hoffentlich erfolgreichen Wahl meiner Initiativen. Es bleibt eine gewisse Furcht vor dem „kosmischen Kicherfaktor“, der alle Strebungen auf geheimnisvolle Weise hintergehen könnte.

Mein Ziel ist, immer wieder den Mut zu finden, mein Schicksal zu wählen, zu erreichen, dass ich mein Leben wirklich als meine Wahl gestalte.

In der Abschlussstille fühle ich mich ermutigt, mein Schicksal in die Hand zu nehmen, für meine Werte einzustehen, aktiv darin zu sein, die Welt mitzugestalten.

Gesellig – Gesellschaft

Die Frage nach der Gesellschaft, dem Sozialen, den Kulturen und der Platz eines Individuums – eines allgemeinen Einzelnen – darin, treibt aus der Stille in mein Bewusstsein. Als personales Subjekt bin ich davon natürlich auch selbst betroffen.

Das Soziale hat sich tief in meinen Selbstumgang eingeschrieben. Die Werte, Normen, Selbstverständlichkeiten meiner Kultur prägen auch meinen Selbstumgang. Bürgerliche Werte, 68er Ideale oder die Anforderungen des wirtschaftlichen Wertsystems und etliche andere Fragmente wetteifern, z.B. bei meiner Selbstbewertung, um Beachtung.

Auch in das Zusammenleben mit meinen Lieben sickert das soziale Kontinuum ein. Ganz unvermeidlich spielen hier verschiedene Wertsysteme eine Rolle, wenn es um so banale Fragen wie Wohnungseinrichtung, Essgewohnheiten oder Freizeitbeschäftigung geht. Ob wir mit oder gegen eine solche Strömung leben wollen, bleibt unserer Entscheidung überlassen – ignorieren können wir die Einflüsse nicht.

Das Soziale des Sozialen ist für mich die Frage der globalen Sozialität. Fragen darüber, wie die Weltgemeinschaft miteinander umgeht, wie sie ihre Ressourcen verteilt und welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Kulturen herrschen – Fragen, die mich schon seit einiger Zeit bedrängen.

Auf der Empfindungsebene nehme ich sehr schnell eine ambivalente Bewegung wahr – von innen nach außen der sich weich anfühlende Wunsch nach Geselligkeit, die Wärme einer freundlichen Gemeinschaft – miteinander lachen, tanzen oder Blödsinn machen. Dagegen von außen nach innen – eine Verfestigung, eine hohe Wachsamkeit und auch eine Tendenz mich kleinzumachen.

Auf der Gefühlsebene ringen entsprechend Sehnsucht und Heiterkeit gegen die Furcht vor Fremdbestimmung, gegen Misstrauen, Rückzug und Trotz.

Ich denke, dass dieses Spannungsverhältnis zwischen personalem Erleben und sozialen Norm Ansprüchen nicht auflösbar ist. Ich denke, Menschen sind schon biologisch auf Geselligkeit angelegt – bringen eine hervorragende neuro-hormonelle Ausstattung dafür mit, miteinander die besten Überlebenschancen zu gestalten und sich dabei miteinander wohl zu fühlen. Ich denke allerdings auch, dass das Soziale eine eigenständige Form von Realität darstellt, gegen die ich als Einzelner wenige Wirkmöglichkeiten besitze.

Mein Blick auf das Soziale ist im Moment eher sorgenvoll. Die Krisenstimmung, die Spaltungstendenzen, nicht nur in der deutschen Gesellschaft, erlebe ich teils sogar als bedrohlich. Meine Hoffnungen darauf, dass doch bald wieder etwas Vernunft in die Debatten kommt, scheinen mir oft selbst naiv.

Meine Ziele bezüglich des Sozialen sind einerseits tagesaktuell darauf gerichtet, wie ich meinen Platz in dieser Gesellschaft bewahren kann, wie ich mein Leben entsprechend meinen Vorstellungen in dieser Gesellschaft gestalten kann. Ein fantastisches Ziel ist, ein utopisches Bild von einer globaler Gesellschaft zu entwickeln und dafür mit anderen zu denken, zu streiten, zu planen und zu handeln.

In der Abschlussstille fühle ich mich trotz der Schwere des Themas jetzt leichter, ruhiger und fast schon etwas zuversichtlich – es hat mir gut getan, mich mit meinen Zielen zu verbinden und sie einfach aufzuschreiben.

Weihnachtsgedanken

Weihnachten ist das Christliche Fest der Geburt des „Heilands und Erlösers“ und damit des Hoffnungsträgers dafür, dass „Alles wieder gut wird“. Es kann sich damit wunderbar in vorchristliche Glaubenssysteme einfügen – dem Fest der Wiedergeburt der Sonne, nach der längsten Nacht. Gerade diese „ewige Wiederkehr“ der lebenspendenden Sonne und des Lichts vermittelt ebenso den Gedanken des „Alles wird wieder gut“, als auch das Gefühl der Hoffnung,  die ja bekanntlich als letzte stirbt.

Die Weihnachtszeit soll doch bitte schön ein Fest der Liebe sein (au ja!), die Krisen sollen sich mal für eine Weile beruhigen oder doch mindestens in den Hintergrund treten, damit sie meine festliche und liebevolle Stimmung nicht stören.

Mit dem Realming Modell kann ich mich selbst fragen, ob ich in liebevoller Stimmung bin, ob ich mich über die Geburt Christi freue, ob ich Hoffnung finde für die Zukunft. Ich kann schauen, welches Ritual ich mit meinen Lieben, meiner Familie und Freunden feiern will und kann mich fragen, wieweit dieses Datum meine ferneren sozialen Bezüge berührt.

Ich selbst kann (mit mehr oder weniger Mühe) das ganze Jahr über, meinen Kontakt zu Liebe und Hoffnung finden – spüre dann eher einen gewissen Trotz, wenn ich das gewissermaßen auf Kommando tun soll.

Die  Rituale in unseren(Herkunfts- und eigenen) Familien geben mir ein Gefühl von Vertrautheit, eine Art Erneuerung und Wiederkehr von Altbekanntem, das sich auch irgendwie wohlig anfühlt.

Im sozialen Feld finde ich jede Menge Reibungspunkte – Kommerzialisierung, Verdrängung von Krieg und Elend, Ungerechtigkeit die weh tut und vergessen wird. Auf der anderen Seite die Rituale des Glockengeläuts, der Adventsgeschichte, viele Kerzen und Glitzer, die alle zusammen so etwas ambivalent Heimeliges für mich haben.

Mir gefällt ein regelmäßiges Ritual des Innehaltens, der Besinnungspause, der Zeit füreinander. Alle Jahresfeste erinnern uns auch daran, dass wir auf dem Planeten Erde durch ein unermessliches Weltall rasen, dass diese Erde sich um sich selbst und um die Sonne dreht und so die Illusion der ewigen Wiederkehr erzeugt.

In seiner christlichen Wendung werden wir zu Weihnachten daran erinnert, dass es wichtig ist, seine Mitmenschen zu respektieren und möglichst zu lieben, mildtätig zu sein, zu vergeben und verantwortungsvoll zu handeln. Ich persönlich brauche dazu nicht, die Dogmatik der Kirchen, es gelingt mir (meistens) diese Haltung aus Einsicht zu gewinnen. Dennoch bin ich froh, dass es Institution gibt, die sich der Aufgabe verschrieben haben, die Menschen an ihre Mitmenschlichkeit zu erinnern.

Ich finde, dieses Jahr hat gezeigt, dass es immer schwieriger wird, alles wieder gut werden zu lassen. Die Komplexität der  sozialen/politischen Prozesse hat sich zu neuen Höhen aufgeschwungen, die ökologischen Zustände haben sich (teilweise) zu Phasen entwickelt, aus denen es kein Zurück mehr gibt. Sicher tut es gut, die Sorgen für eine Weile auszublenden, aber ich hoffe, dass die Kraft, die in dieser Zeit getankt werden kann, im nächsten Jahr dafür genutzt wird um eben nicht wieder alles so weiter zu machen, wie bisher.

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern eine schöne Weihnachtszeit und einen guten Übergang ins neue Jahr!

Abhängig – Abgehängt

Auch heute drängt sich wohl die aktuelle politische Diskussion in meine Stille.

In meinem Selbstumgang ist mir die Abhängigkeit in vielerlei Hinsicht bewusst. Ganz abgesehen von meinen existenziellen Abhängigkeiten von der Gesellschaft und der Natur bin ich auch noch Raucher – also Nikotinabhängig. Gleichzeitig verschafft mir mein „Trotzdem Rauchen“ auch ein Gefühl von Unabhängigkeit gegenüber dem Druck des „Nicht-Rauchen-Sollens“ – zugegeben eine dürftige Unabhängigkeit.

Von meinen Lieben fühle ich mich mit guten Gefühlen abhängig – ich habe keine Furcht, dass sie mich hängen lassen könnten und sie geben mir die Gelegenheit, sie auch zu halten. Ich würde es eine Art reziproker Abhängigkeit nennen.

Im sozialen Feld sind meine Abhängigkeiten größer als es mir lieb ist. Ich bin abhängig von meiner Berufsbezeichnung, vom Zuspruch meiner Klient*innen und Schüler*innen, den Wellen, die die Zeitgeschichte schlägt und den unüberschaubar vielen sozialen Vorkommnissen, die ständig stattfinden und potenziell mein Leben beeinflussen können.

Auf der Empfindungsebene stellt sich schnell eine tiefe Ruhe ein. Mein Körper entspannt sich, meine Atmung wird flacher und ein Lächeln legt sich auf mein Gesicht. Die auftauchende Stimmung würde ich mit Gelassenheit bezeichnen; das Lächeln ist mit einem Ort tief in meinem Körper verbunden – vielleicht der Ort, wo meine Unabhängigkeit zu Hause ist.

Ich denke, dass Menschen existenziell in vielen Abhängigkeitsverhältnissen leben, eben weil sie leben wollen. Die Suche nach Unabhängigkeit kann also auch in die Irre führen, wenn sie volle Unabhängigkeit verlangt. Bereiche, in denen gute Abhängigkeit sinnvoll ist und Bereiche, in denen ungute Abhängigkeiten das Leben bestimmen, wollen wohl gut unterschieden werden.

Ich hoffe sehr, dass mir diese Unterscheidung gelingt. Meine Befürchtungen drehen sich immer wieder einmal darum, mangels Qualifikationen, bzw. mangels Urkunden, Titel u.Ä., von der sozialen Anerkennung abgehängt zu werden.

Meine Ziele richten sich darauf, meine Abhängigkeiten bekömmlich zu gestalten – bekömmlich für mich, wenn ich der Abhängige bin und bekömmlich für die Menschen, die von mir abhängig sind.

In der Abschlussstille stellt sich wieder eine tiefe Ruhe ein, nur die Atmung ist jetzt weiter. Ich fühle eine Art stille Zuversicht und auch so etwas wie Zufriedenheit.

gefangen – angefangen

Die heutige Stille präsentiert mir diese beiden Begriffe, die mein Freiheitsgefühl betreffen.

Im meinem Selbstumgang kenne ich das Gefangen-Sein in meinen Gewohnheiten, meinen Routinen und Marotten. Ich kenne auch gut das Gefangen-Sein in meinen unvollkommenen Fähigkeiten – auch wenn ich immer wieder neu anfange, meine Fähigkeiten zu erweitern.

In der Beziehung zu meinen Lieben habe ich mich freiwillig gebunden, mich so betrachtet also auch selbst gefangen – andererseits werde ich in meiner Beziehung auch aufgefangen, falls ich einmal den Halt verliere.

Im sozialen Umfeld nehme ich meine Gefangen-Sein am schärfsten wahr. All die Routinen und Rollen, die meine Kultur von mir fordert, die Verpflichtungen, die ein Gemeinwesen mit sich bringen, können mir nicht durchgehend gefallen. Ich weiß manchmal nicht so recht, was ich damit anfangen will.

Auf der Empfindungsebene stellt sich der Eindruck eines Netzes ein, das sich eng, ganz um meinen Körper zuzieht. Meine Atmung wird flacher und ich habe den Eindruck ganz tief in meinem Körperinneren, besonders im Kopf zu sein.

Begleitet sind diese Empfindungen von einer milden Furcht und einer sprungbereiten Ruhe.

Ich denke, dass Freiheit nur in Grenzen möglich ist. Dass wir existenziell gefangen im Fleisch, in bedeutsamen Beziehungen und sozialer Gemeinschaft sind.

Ich hoffe sehr, dass ich die Unterschiede zwischen existenzieller Gefangenheit und einer unnötigen Gefangenheit gut unterscheiden kann. Dann erst bekomme ich nämlich die Freiheit, etwas anzufangen, was auch wirklich möglich ist.

Meine Ängste drehen sich darum, dass die ökologischen und sozialen Zwänge enger werden, als es für ein bekömmliches Leben nötig ist.

Ich möchte gerne dazu beitragen, die notwendigen Grenzen zu bewahren und sie Wert zu schätzen, immer wieder neu damit anzufangen, Grenzen auf ihre Notwendigkeit hin zu prüfen.

In der Abschlussstille fühle ich mich friedlich – das Netz um meinen Körper hat sich gelockert, ich empfinde mich wärmer und weicher.