Realming ist Selbsterfahrung mit System. Eine weitere Säule dieses Systems ist die Selbststeuerung. Wozu aber soll Selbststeuerung nützlich sein? Zur ersten Annäherung möchte ich folgendes Zitat des Bewusstseinsphilosophen Thomas Metzinger vorstellen:
„Es wird deutlich, dass nicht nur Bewusstsein im Allgemeinen, sondern auch das bewusste Selbsterleben ein graduelles Phänomen ist. Es nimmt an Stärke zu, sobald ein Organismus eine immer größere Sensibilität für einen inneren Kontext entwickelt und gleichzeitig seine Fähigkeiten zur Selbstkontrolle erweitert.“
Ich finde, dieses Zitat verbindet den Beitrag über die Selbstwahrnehmung ganz selbstverständlich mit der Selbststeuerung. Wenn ich mich selbst besser wahrnehme, bin ich auch in einer besseren Ausgangsposition, um mich besser durchs Leben zu steuern.
Toleranz für Gefühle
Welche Aspekte spielen dabei eine Rolle? Zunächst einmal geht es um die Toleranz für Gefühle. Da alle Bewusstseinsprozesse mit Gefühlen einhergehen, und Gefühle auch wichtige Hinweisgeber für anstehende Handlungen sind, ist es hilfreich, einen inneren Umgang mit Gefühlen zu beherrschen.
Das fällt i.d.R. leicht, wenn positive Gefühle wie Freude, Lust, Neugier oder Stolz wahrgenommen werden. Schon schwieriger wird es mit den negativen Gefühlen wie Zorn, Neid, Eifersucht, Scham oder Schuldgefühl. Besonders schwierig aber können Ambivalenzen fallen. Wenn ich einerseits einen Menschen sehr schätze und gleichzeitig sehr wütend auf ihn bin.
Die Kenntnis der eigenen Gefühlswelt entspricht der Fähigkeit, seine Gefühle benennen zu können. Was aber tun mit diesen Gefühlen. Nicht wenige Menschen fühlen sich unsicher, wenn sie Ärger, Trauer, Scham etc. fühlen. Sie versuchen diese Gefühle vor anderen und vielleicht sogar vor sich selbst zu verstecken. Dass sie damit wichtige Hinweise auf den Kontext, der der Anlass für diese Gefühle ist, verlieren, ist der Preis, den sie dafür zahlen müssen.
Gefühle sind dem Menschen angeboren – oder: Man kann nicht nicht fühlen! Gefühle bewerten zwischenmenschliche Interaktionen. Ein Lob erfreut mich, eine Rüge beschämt mich vielleicht; auf Erfolge bin ich stolz und bei einer Niederlage vielleicht bedrückt. Nun wird jedes schöne Gefühl relativ schnell vorbeigehen – das Lob versinkt wieder im Alltag, der Sieg wird über der Aussicht auf den nächsten Wettkampf vergessen.
Negative Gefühle besitzen die Eigenschaft, länger anzuhalten. Der Ärger, den ich auf jemanden habe, weil er mich ungerecht behandelt, kann nicht so recht vergehen, wenn die Situation dieselbe bleibt. Die Trauer über einen Verlust braucht Zeit bis sie vergehen darf.
Besonders hartnäckig halten sich Ambivalenzen. Sie bringen mit sich, dass sie sich nach keiner Seite hin auflösen können. Dem einen Gefühl folgen, hieße das andere zu verraten. Das ist eine ziemlich lähmende Konstellation, die zu einem unguten Grundgefühl führen kann.
Inneres Handeln mit Gefühlen ist eine Voraussetzung für ein angemessenes äußeres Handeln. Wenn ich mir über meine Gefühle im Klaren bin, kann ich sie einer Situation zuordnen und abwägen, welche Handlungen sinnvoll wären. Ohne diese Fähigkeit bin ich in Gefahr, die Gefühle einfach auszuleben – ohne Rücksicht auf eigene oder fremde Verluste. Ein ziemlich sicheres Mittel, um für schlechte Gefühle auch in der Zukunft zu sorgen.
Umgang mit Selbstwert
Unsicherheit mit Gefühlen, oder auch das Vorherrschen von negativen Gefühle und Ambivalenzen nagen am Selbstwert. Das „Selbstwertsystem“ ist ebenfalls bauartbedingt menschlich. Ein schlechter Selbstwert lässt uns unsicher und verzagt sein – auf die Dauer kann das zu Krankheit und Depression führen.
Je nach biografischer Vorbelastung kann es sich schwierig gestalten, seinen Selbstwert wahrzunehmen. Vielleicht braucht man dauernd Lob von anderen, macht sich größer als man ist, ist empfindlich gegen Kritik und andere Meinungen oder wertet sich selbst sogar noch weiter ab.
Natürlich gelingt im Leben nicht alles, was man sich vornimmt. Es gibt Niederlagen oder Missgeschicke, man begeht einen Fehler, eine Dummheit und ärgert sich über sich selbst. Wenn es möglich wird, sich selbst zu verzeihen, den Fehler in ein angemessenes Verhältnis zum sonstigen Gelingen zu bringen, wird der Selbstwert darunter nicht lange leiden.
Umgang mit Impulsen
Die menschliche „Bio-Natur“ sorgt dafür, dass wir ständig von inneren Impulsen angestoßen werden. Ein großer Bereich liegt in der Sexualität, der andere im Umgang mit Aggressionen. Die Quelle der Sexualität liegt in der biologischen Anlage, sie ist autonom. Das Ausdrucksverhalten von Aggression ist ebenfalls angeboren, ihr Auslöser ist allerdings stets situativ.
Beiden Bereichen gemeinsam sind die hohe Energie und damit die Intensität der Gefühle. Ebenfalls gemeinsam ist ihnen, dass ihre Ausdrucksmöglichkeiten von der Gesellschaft begrenzt werden. Es geht also darum, diese Impulse einerseits in den Dienst des Ichs zu nehmen und andererseits nicht gegen gesellschaftliche Regeln zu verstoßen.
Dieses Kunststück hinzubekommen ist nicht ganz einfach. Nicht selten werden solche Impulse verleugnet, umgelenkt oder unterdrückt. Am anderen Ende des Spektrums wäre unkontrolliertes Verhalten, das jedem Impuls sofort nachgibt.
Eine bewusste Steuerung, die auf einer guten Selbstwahrnehmung beruht, ist die Voraussetzung für eine erfüllende Sexualität und für Aggression, die im Dienst der Selbstwirksamkeit steht. Wenn nun noch ein reflektiertes Wertesystem, eine Ethik hinzukommt, wird auch der Weg zu einem positiven Selbstwert leichter.
Voraussicht
Die Qualität des sozialen Miteinanders beeinflusst das Befinden stark. Menschen, die aufeinander Rücksicht nehmen, einander anerkennen, Kompromisse eingehen können, Widersprüche stehen lassen können fühlen sich wohl miteinander.
Das erfordert die Fähigkeit der Einzelnen, sich die Reaktionen von anderen vorstellen zu können. Wenn ich immer derjenige bin, der nicht abspült, den Kühlschrank plündert, nachts laut Musik hört etc. muss ich mich im Prinzip nicht wundern, wenn ich bald ohne Wohnung bin.
Das andere Ende des Spektrums wäre hier, dass nur zählt was andere wollen, dass ich jedem, jeden Wunsch von den Augen ablese und dabei mich und meine Bedürfnisse völlig vergesse.
Die Kunst des Kompromisses beruht auch auf der Fähigkeit, sich Kritik, bzw. Rückmeldungen von anderen anhören zu können, und sie ggfls. als Impuls zur Verhaltensänderung annehmen zu können.
Selbststeuerung ist ein Aspekt, der bei der Realming eine große Rolle spielt. Das Zauberwort heißt spielerisches Ausprobieren. In der Regel verwenden die meisten Menschen nur wenige mögliche Handlungsoptionen, einfach deswegen, weil sie andere Möglichkeiten nie kennengelernt, geschweige denn erfahren haben.