Abhängig – Abgehängt

Auch heute drängt sich wohl die aktuelle politische Diskussion in meine Stille.

In meinem Selbstumgang ist mir die Abhängigkeit in vielerlei Hinsicht bewusst. Ganz abgesehen von meinen existenziellen Abhängigkeiten von der Gesellschaft und der Natur bin ich auch noch Raucher – also Nikotinabhängig. Gleichzeitig verschafft mir mein „Trotzdem Rauchen“ auch ein Gefühl von Unabhängigkeit gegenüber dem Druck des „Nicht-Rauchen-Sollens“ – zugegeben eine dürftige Unabhängigkeit.

Von meinen Lieben fühle ich mich mit guten Gefühlen abhängig – ich habe keine Furcht, dass sie mich hängen lassen könnten und sie geben mir die Gelegenheit, sie auch zu halten. Ich würde es eine Art reziproker Abhängigkeit nennen.

Im sozialen Feld sind meine Abhängigkeiten größer als es mir lieb ist. Ich bin abhängig von meiner Berufsbezeichnung, vom Zuspruch meiner Klient*innen und Schüler*innen, den Wellen, die die Zeitgeschichte schlägt und den unüberschaubar vielen sozialen Vorkommnissen, die ständig stattfinden und potenziell mein Leben beeinflussen können.

Auf der Empfindungsebene stellt sich schnell eine tiefe Ruhe ein. Mein Körper entspannt sich, meine Atmung wird flacher und ein Lächeln legt sich auf mein Gesicht. Die auftauchende Stimmung würde ich mit Gelassenheit bezeichnen; das Lächeln ist mit einem Ort tief in meinem Körper verbunden – vielleicht der Ort, wo meine Unabhängigkeit zu Hause ist.

Ich denke, dass Menschen existenziell in vielen Abhängigkeitsverhältnissen leben, eben weil sie leben wollen. Die Suche nach Unabhängigkeit kann also auch in die Irre führen, wenn sie volle Unabhängigkeit verlangt. Bereiche, in denen gute Abhängigkeit sinnvoll ist und Bereiche, in denen ungute Abhängigkeiten das Leben bestimmen, wollen wohl gut unterschieden werden.

Ich hoffe sehr, dass mir diese Unterscheidung gelingt. Meine Befürchtungen drehen sich immer wieder einmal darum, mangels Qualifikationen, bzw. mangels Urkunden, Titel u.Ä., von der sozialen Anerkennung abgehängt zu werden.

Meine Ziele richten sich darauf, meine Abhängigkeiten bekömmlich zu gestalten – bekömmlich für mich, wenn ich der Abhängige bin und bekömmlich für die Menschen, die von mir abhängig sind.

In der Abschlussstille stellt sich wieder eine tiefe Ruhe ein, nur die Atmung ist jetzt weiter. Ich fühle eine Art stille Zuversicht und auch so etwas wie Zufriedenheit.

gefangen – angefangen

Die heutige Stille präsentiert mir diese beiden Begriffe, die mein Freiheitsgefühl betreffen.

Im meinem Selbstumgang kenne ich das Gefangen-Sein in meinen Gewohnheiten, meinen Routinen und Marotten. Ich kenne auch gut das Gefangen-Sein in meinen unvollkommenen Fähigkeiten – auch wenn ich immer wieder neu anfange, meine Fähigkeiten zu erweitern.

In der Beziehung zu meinen Lieben habe ich mich freiwillig gebunden, mich so betrachtet also auch selbst gefangen – andererseits werde ich in meiner Beziehung auch aufgefangen, falls ich einmal den Halt verliere.

Im sozialen Umfeld nehme ich meine Gefangen-Sein am schärfsten wahr. All die Routinen und Rollen, die meine Kultur von mir fordert, die Verpflichtungen, die ein Gemeinwesen mit sich bringen, können mir nicht durchgehend gefallen. Ich weiß manchmal nicht so recht, was ich damit anfangen will.

Auf der Empfindungsebene stellt sich der Eindruck eines Netzes ein, das sich eng, ganz um meinen Körper zuzieht. Meine Atmung wird flacher und ich habe den Eindruck ganz tief in meinem Körperinneren, besonders im Kopf zu sein.

Begleitet sind diese Empfindungen von einer milden Furcht und einer sprungbereiten Ruhe.

Ich denke, dass Freiheit nur in Grenzen möglich ist. Dass wir existenziell gefangen im Fleisch, in bedeutsamen Beziehungen und sozialer Gemeinschaft sind.

Ich hoffe sehr, dass ich die Unterschiede zwischen existenzieller Gefangenheit und einer unnötigen Gefangenheit gut unterscheiden kann. Dann erst bekomme ich nämlich die Freiheit, etwas anzufangen, was auch wirklich möglich ist.

Meine Ängste drehen sich darum, dass die ökologischen und sozialen Zwänge enger werden, als es für ein bekömmliches Leben nötig ist.

Ich möchte gerne dazu beitragen, die notwendigen Grenzen zu bewahren und sie Wert zu schätzen, immer wieder neu damit anzufangen, Grenzen auf ihre Notwendigkeit hin zu prüfen.

In der Abschlussstille fühle ich mich friedlich – das Netz um meinen Körper hat sich gelockert, ich empfinde mich wärmer und weicher.

Selbstentfremdung – Selbsterfahrung

Wieder einmal eine Überraschung aus der Stille!

Das Gefühl, mir selbst fremd zu sein, kenne ich gut aus meiner Kindheit, meiner Jugend und der Zeit als junger Erwachsener. Nicht, dass ich das damals so hätte nennen können – es war eher das Gefühl, auf dem falschen Planeten gelandet zu sein. So vieles, was für die Umgebung wichtig war, was ich tun musste, weil es von mir gefordert wurde, kam mir fremd und seltsam vor. Trotzdem die Forderungen zu erfüllen, fühlte sich gelinde gesagt seltsam an. Erst als ich begann, bewusste Selbsterfahrung zu sammeln, begann sich das zu ändern. Nach einem langen Weg bin ich heute da angekommen, dass ich bei mir sein kann, auch wenn ich Kompromisse eingehe.

Diese Art von Selbstverbundenheit hilft mir auch in meiner Familie. Nicht mehr auf der Suche nach mir selbst, nicht mehr irgendwelchen Identifikationen hinterher zu hecheln, fähig und bereit, mich auf die Welt meiner Lieben einzulassen und dabei auch bei mir zu sein – auch das war früher deutlich anders.

Die Pflichten einer Rolle, die Forderung nach einer guten Performance in der Öffentlichkeit, ist eine bleibende Herausforderung für meine Selbst-Identität. Es fällt mir immer leichter, mir treu zu bleiben, im Gespräch zu bleiben, zu sagen, was mir wichtig ist und dabei auch den aktuellen Kontext im Blick zu behalten.

Auf der Empfindungsebene nehme ich beim Selbstentfremdungsbegriff wahr, wie sich das Blut aus meinen Füßen zurückzieht, die Knöchel fühlen sich eng und zerbrechlich an und das aufkommende Gefühl ist nackte Angst.

Ich denke, dass Entfremdung, in all den vielfältigen Bedeutungen, die dieser Begriff hat, eine echte Herausforderung für die Selbst Identität darstellt. Vom Selbst entfremdet oder teilweise entfremdet begünstigten wir faule Kompromisse, befördern wir Frustration und schlecht Laune. Der Unterschied zwischen Rolle und Selbstidentität wird noch schwieriger aufzufinden, als ohnehin schon.

Meine Befürchtungen liegen mehr in Richtung der sozialen Umstände, dass dort die Entfremdung mehr und mehr zu einer Norm wird, gegen die eine Selbstbejahung zunehmend schwieriger wird.

Meine Hoffnungen und Wünsche gehen dahin, dass mehr Menschen die Gelegenheit nutzen, sich bewusster mit sich selbst zu verbinden und eine eigene Meinung und Haltung zum gesellschaftlichen Miteinander entwickeln werden.

Meine Ziele liegen in meinem Selbstumgang. Meine Selbstverbundenheit ist kein Selbstläufer – sie braucht meine Aufmerksamkeit und meine Bewusstheit. Wenn ich es schaffe, dabei die Grenzen meines Selbst einzuhalten, kann ich wohl für den Moment zufrieden sein.

In der Abschlussstille taucht ein heiteres Lächeln auf meinem Gesicht auf – das Blut strömt in Beine und Füße zurück. Ich bin verbunden mit den Brüchen und Schattenseiten meiner Existenz und fühle Zuversicht.

unheimlich gruselig

Passend zu Halloween kommt  aus der Stille das Grauen.

Im Selbstumgang kenne ich das Unheimliche in mir aus meiner Biografie. Impulse und Fantasien, die nicht zu meinem Selbstbild gepasst haben, die ich nicht haben wollte, mit denen ich mir unheimlich war. Heute kenne ich das „unheimliche“ Gefühl höchstens dann, wenn es um geheimnisvolle Symptome geht, die plötzlich auftauchen, von denen ich nicht weiß, ob sie gefährlich sind.

In meinem Beziehungsleben habe ich vor allem meine Lieben unheimlich lieb. In diesem Bereich fühle ich mich ebenfalls höchstens gruselig, wenn jemand von den Lieben krank wird.

Im sozialen Raum finde ich wiederum vieles, was mich unheimlich gruselt. Sei es die „Populistische Rechte“ in Deutschland und Europa, seien es die politischen Entwicklungen weltweit und vor allem das ökologische Desaster, das wir (ich auch) auf der Erde anrichten.

Auf der Empfindungsebene spüre ich schnell eine Art Loch in meinem Solar Plexus, verbunden mit dem Impuls rückwärts zu verschwinden – ganz schnell taucht der Gegenimpuls auf – ein Aufrichten der Wirbelsäule, verbunden mit der Empfindung der Festigung und der Bereitschaft.

Auf der Gefühlsebene sind diese Empfindungen zunächst von einer Ahnung von Schreck begleitet– im Gegenimpuls spüre ich Trotz und Ärger.

Ich denke, dass das Gruseln ein Spiel mit der Sterblichkeit ist. Menschen können wissen, dass sie sterben müssen, aber es sieht so aus, als wollten die meisten das gar nicht wissen. Das kulturelle Totengedenken konfrontiert uns mit der Sterblichkeit und das Verkleiden – damit uns der Tod nicht erkennt? – und die schrecklichen Masken – die den Tod vertreiben sollen? – erleichtern den Umgang mit dem unvermeidlichen Geschick. Es ist sogar die Wendung des Schreckens zu einem Fest, das vor Lebendigkeit geradezu strotzt.

Ich hoffe, dass ich bei einer Gelegenheit wieder einmal an so einem Fest teilnehmen werde – die letzten Jahre fand ich das wenig verlockend. Lauter maskierte und betrunkene Menschen sind mir allerdings schon etwas unheimlich.

Ich bin im Moment mit meiner Einstellung recht zufrieden, von daher finde ich kein Erreichungsziel.

In der Abschlussstille pulsiert mein Solar Plexus geradezu fröhlich. Ich fühle mich heiter und versöhnt mit dem Spiel mit der Sterblichkeit.

Atmen – atemlos

Was für eine erfüllende Stille heute Morgen! Erfüllender Atem – ruhig, pulsierend einatmen und loslassen.

In meinem Selbstumgang kenne ich das unachtsame, beiläufige und routinierte Atmen, ebenso wie Atemübungen – Selbstdisziplinierung – und das achtsame Atmen. Es fällt mir leicht, Bewusstheit von meinem Atemprozess zu erlangen und dadurch auch meinen vitalen und emotionalen Zustand wahrzunehmen. Wenn ich mich einmal atemlos wahrnehme, habe ich bereits eine Brücke gefunden, über die ich wieder zu meinem Atemzentrum – meiner Lebendigkeit – zurückfinden kann.

Mit meinen Liebsten kenne ich die induzierte Atemlosigkeit der Termine, des Stundenplans, der „vergessenen“ Erledigungen und Ähnliches mehr. Die gemeinsamen Zeiten sind weniger geworden und wir haben es evtl. eilig, den anderen das Wichtigste mitzuteilen, das uns gerade am Herzen liegt. Gemeinsames ruhiges Atmen ergibt sich dadurch selten.

Im sozialen Raum erlebe ich viele und vieles als atemlos. Schneller, höher, weiter soll die soziale Performance sein – Termine, Eile und Druck wirken atemberaubend. Eine große Herausforderung für mich, mir einen eigenen Rhythmus zu bewahren.

Auf der Empfindungsebene spüre ich recht schnell eine Spannung in den Hüftgelenken – schon wieder so etwas wie Eile. Aber nach zwei bis drei Atemzügen entspannt sich dieser Bereich und ich habe den Eindruck, dass mein Körperinneres nach unten ins Becken sinkt, sich dort ausbreitet und mir eine Basis schenkt.

Die Stimmung ist sehr ruhig mit einem heiteren Unterton, ein leichtes Lächeln erobert meine Gesichtszüge.

Ich denke, dass Atembewusstheit eine meiner (der) größten Ressourcen überhaupt ist. Ich finde darüber leicht zu meinem Lebenszentrum und darüber zu meinem Standpunkt in jegliche Frage. Der Begriff „Psyche“ hat eine ursprüngliche Bedeutung von „Atemhauch“ und der Atemhauch ist ein Synonym für „Leben“. Wenn es mir gelingt, mich und meine Gesprächspartner*innen atmen zu lassen kann ein einvernehmlicher Lebensraum entstehen.

Ich kenne die Angst, nicht gehört zu werden – eine Angst, die mir den Atem raubt und dazu führen kann, dass ich vor lauter sprechen-wollen, vergesse zuzuhören. Überhaupt denke ich, dass Angst und Furcht die größten Atemräuber sind. Ich würde gerne über die Fähigkeit verfügen, zerstrittenen Parteien eine Atempause zu verordnen – ihnen die Gelegenheit verschaffen, dem jeweils anderen einfach einmal zuzuhören.

In der Abschlussstille ist meine Stimmung ernsthafter, fast ein wenig bedrückt geworden – ich vermute, dass ich bedauere, dass sich die Vermittlung des lebendigen Atmens so schwierig gestaltet.