Wieder einmal eine Überraschung aus der Stille!
Das Gefühl, mir selbst fremd zu sein, kenne ich gut aus meiner Kindheit, meiner Jugend und der Zeit als junger Erwachsener. Nicht, dass ich das damals so hätte nennen können – es war eher das Gefühl, auf dem falschen Planeten gelandet zu sein. So vieles, was für die Umgebung wichtig war, was ich tun musste, weil es von mir gefordert wurde, kam mir fremd und seltsam vor. Trotzdem die Forderungen zu erfüllen, fühlte sich gelinde gesagt seltsam an. Erst als ich begann, bewusste Selbsterfahrung zu sammeln, begann sich das zu ändern. Nach einem langen Weg bin ich heute da angekommen, dass ich bei mir sein kann, auch wenn ich Kompromisse eingehe.
Diese Art von Selbstverbundenheit hilft mir auch in meiner Familie. Nicht mehr auf der Suche nach mir selbst, nicht mehr irgendwelchen Identifikationen hinterher zu hecheln, fähig und bereit, mich auf die Welt meiner Lieben einzulassen und dabei auch bei mir zu sein – auch das war früher deutlich anders.
Die Pflichten einer Rolle, die Forderung nach einer guten Performance in der Öffentlichkeit, ist eine bleibende Herausforderung für meine Selbst-Identität. Es fällt mir immer leichter, mir treu zu bleiben, im Gespräch zu bleiben, zu sagen, was mir wichtig ist und dabei auch den aktuellen Kontext im Blick zu behalten.
Auf der Empfindungsebene nehme ich beim Selbstentfremdungsbegriff wahr, wie sich das Blut aus meinen Füßen zurückzieht, die Knöchel fühlen sich eng und zerbrechlich an und das aufkommende Gefühl ist nackte Angst.
Ich denke, dass Entfremdung, in all den vielfältigen Bedeutungen, die dieser Begriff hat, eine echte Herausforderung für die Selbst Identität darstellt. Vom Selbst entfremdet oder teilweise entfremdet begünstigten wir faule Kompromisse, befördern wir Frustration und schlecht Laune. Der Unterschied zwischen Rolle und Selbstidentität wird noch schwieriger aufzufinden, als ohnehin schon.
Meine Befürchtungen liegen mehr in Richtung der sozialen Umstände, dass dort die Entfremdung mehr und mehr zu einer Norm wird, gegen die eine Selbstbejahung zunehmend schwieriger wird.
Meine Hoffnungen und Wünsche gehen dahin, dass mehr Menschen die Gelegenheit nutzen, sich bewusster mit sich selbst zu verbinden und eine eigene Meinung und Haltung zum gesellschaftlichen Miteinander entwickeln werden.
Meine Ziele liegen in meinem Selbstumgang. Meine Selbstverbundenheit ist kein Selbstläufer – sie braucht meine Aufmerksamkeit und meine Bewusstheit. Wenn ich es schaffe, dabei die Grenzen meines Selbst einzuhalten, kann ich wohl für den Moment zufrieden sein.
In der Abschlussstille taucht ein heiteres Lächeln auf meinem Gesicht auf – das Blut strömt in Beine und Füße zurück. Ich bin verbunden mit den Brüchen und Schattenseiten meiner Existenz und fühle Zuversicht.