„Heimat Mensch“

„Heimat Mensch“ von Christoph Antweiler
Das Christkind hat mir ein Buch beschert, das ich schon seit längerer Zeit auf meiner „noch-zu-lesen Liste“ geführt habe. Christoph Antweiler ist Professor für Ethnologie. In diesem Fachbereich gibt es zwei Lager – die Universalisten und die Relativisten. Die ersteren, zu denen auch Herr Antweiler gehört, denken, dass es allgemein menschliche Merkmale in allen Kulturen gibt. Die letzteren glauben das nicht und behaupten, dass jede Kultur nur für sich und aus sich heraus verständlich ist. Mein Ansatz für „Realming“ glaubt ebenfalls an allgemein menschliche Eigenschaften und Verrichtungen und ich bekam mit dem Buch eine Menge guter und z.T. neuer Argumente für meine Position.
Im Einführungskapitel erfahre ich, dass inzwischen 888 große und gemeinsame Themen bekannt sind, die in allen erforschten Kulturen eine Rolle spielen. Das bedeutet nicht, dass alle Kulturen diese Themen auf dieselbe Art lösen, sondern nur, dass sie mit diesen Themen umgehen. Im weiteren Verlauf erläutert uns der Autor einige davon.
Es geht da zunächst um den Umgang mit Macht, Hierarchien und deren räumlicher Darstellung, bzw. Inszenierung – Mächtige sitzen erhöht, das ist schon bei den Primaten so und findet sich in allen menschlichen Kulturen. Gemeinsam ist den Menschen auch, dass sie sich für die Sexualität aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Weiter geht es mit der Gruppenbildung und der fatalen Neigung, die eigene Gruppe durch die Differenz zu einer anderen Gruppe zu bestimmen – Vorurteile sind menschlich! Der Umgang mit ihnen eine Frage der Zivilisation.
Das ganze Buch liest sich leicht und flüssig. Es beschreibt Phänomene, wie den Umgang mit der Zeit, mit Sprache überhaupt und betrachtet sogar romantische Liebe und Kunst in verschiedenen Kulturen. Es geht dem Autor dabei nicht darum, Kulturen auf ein Niveau zu bringen sondern darum, die Ähnlichkeit in der Vielfalt zu sehen. Er schreibt: „Wir sind eine Menschheit, und wir leben in einer Welt.“ – oder: „Jede Kultur ist wie alle, wie einige, wie keine einzige andere Kultur.“

Neu – Beginn

Die Weihnachtspause ist vorüber, das neue Jahr hat begonnen. Aus meiner Stille tauchen die Begriffe „Neu“ und „Beginn“ auf.
Ist ein Jahreswechsel ein Neu-Beginn? In meinem Leben mit mir kenne ich die Übergänge, das Vergehen von Altem, das Auftauchen von neuem, das aber immer irgendwie auch mit dem Alten verbunden ist. Vielleicht kann ich aber auch das Neue nicht erkennen, weil ich es nur mit meinen „alten“ Augen sehen kann? Wirklich qualitativ neu sind Diagnosen einer Krankheit, die es vorher noch nicht gab, vielleicht Unfälle, unvorhergesehen Begegnungen, durchaus auch Glücksfälle. Ich merke, dass es mir lieber ist, wenn nicht allzu viel Neues in meinem Leben auftaucht.
Ebenso in meinen nahen Beziehungen. Es gibt die unvermeidlichen Übergänge und die liebgewordenen Routinen – ob Neu-Beginn hier wirklich etwas Besseres bringen kann? Auch hier kostet es mich Mut, immer wieder zu versuchen, neu auf meine Beziehungen zu schauen, um nicht in den Routinen zu versinken.
Im sozialen Leben bin ich mittelbar von den Kölner Silvester Vorgängen berührt. Ich vermute, dass hier etwas Neues beginnt, bzw. dass etwas, was es schon immer gab, als neue Qualität verkauft wird. Gibt es im sozialen Raum qualitativ Neues? Flüchtlinge in großer Zahl? Sexualisierte Gewalt von Männerhorden? Gesetze und Verordnungen, die die Bevölkerung schützen sollen? Nichts davon kommt mir wirklich neu vor – neu wäre allenfalls, dass mir die mediale Verarbeitung des Themas noch plakativer und undifferenzierter als sonst vorkommt.
Meine Körperempfindungen zum Thema sind sehr unspezifisch. Ich spüre so etwas wie eine subtile Zurückhaltung, eine Empfindung von Schwäche vor allem in den Hüft- und Schultergelenken.
Emotional fühle ich mich auf der Kippe zwischen fröhliche „Au Ja“ und einem gewissen Misstrauen, in dem auch Ängstlichkeit mitschwingt.
Meine Gedanken zum Neu-Beginn sind skeptisch eingefärbt. Ab wann kann etwas wirklich „neu“ genannt werden? Dass es Neues gibt – z.B. technische Geräte oder Entdeckungen aller Art – möchte ich nicht bezweifeln. Ich suche nach den Unterschieden des qualitativ Neuen, das auch eine Art Beginn bedeutet und dem eher quantitativ Neuen, das einfach nur mehr vom Altbekannten produziert. Ich merke, dass es nicht so einfach ist, hier Unterscheidungen zu treffen. Ich misstraue meinen sozial-dressierten Denkweisen, was solche Zuordnungen angeht. Ich sehe auch die neurologisch bedingte „Angewohnheit“, Neues zunächst einmal mit Altem zu verbinden, die Notwendigkeit, dass ich auch lernen muss, neu zu sehen um das Neue wirklich erkennen zu können – wirklich schwierige Gedanken.
Mein größte Hoffnung ist, dass Menschen bereit werden, sich selbst und ihren Umgang miteinander in einem neuen Licht zu sehen – dass sie beginnen, die Absurdität zu erkennen, was es bedeutet, sich auf einem einzigen Planeten um die Ressourcen zu streiten, anstatt dessen Reichtum, so gerecht wie möglich, allen zukommen zu lassen. Meine Ängste gehen dahin, dass diese alt-neue Einsicht nicht genügend Zeit bekommen wird, um sich zu entwickeln. Für den Rahmen meiner persönlichen Möglichkeiten hoffe ich, dass mein Lebensstil genügend verantwortungsbewusst ist und hoffentlich nicht dazu beiträgt, dass alles, immer noch schlimmer wird.
Erreichen möchte ich am liebsten, dass ich mich traue, mit meinen Ideen nach außen zu treten, Mitstreiter*innen zu finden, die an einer neuen Idee mitdenken möchten. Der heutige Beitrag ist vielleicht ein schon ein Schritt dahin.
Wenn ich diesen neuen Weg weiterginge, würde sich mein Leben wohl in allen Bereichen ziemlich verändern. Falls der Funke beginnen würde aufzuglühen, würde er Zeit und Atem von mir brauchen, würde ich Zeit und Atem aufbringen wollen, um die Idee am Leben zu erhalten und weiter zu verbreiten.
Aus meiner Abschlussstille höre ich laut und deutlich ein „Ja“.

Vergebung – vergeblich

Vergeben und Vergebung tauchen aus der Stille auf. Mir selbst vergeben ist keine leichte Übung. Ich mache Fehler, manchmal sind mir schlimme Fehler unterlaufen – weniger aus Bosheit, als aus Unachtsamkeit – trotzdem, ich konnte und kann mir nicht so leicht vergeben.

Aus meiner Herkunftsfamilie ist Vergebung für mich gewissermaßen ein Un-Thema. Meine Eltern haben mir vieles vergeben und ich ihnen mittlerweile auch. Ich merke trotzdem, wie viel Anstrengung es mich kostet, zu vergeben, selbst bei Kleinigkeiten.

Vergebung im Sozialen fällt mir mittlerweile leichter. Ich denke nicht mehr so stark in Gut-Böse Kategorien. Die Ungerechtigkeiten und Schurkereien, deren täglicher Zeuge ich bin, triggern zunächst meine Rachsucht, meinen Zorn und meine Empörung. Wie kann ich den Schurken dieser Welt vergeben? Muss ich das überhaupt – oder ist mein „heiliger Zorn“ vielleicht sogar hilfreicher? Ich weiß es nicht. Ich weiß, dass mein Brodeln im Zorn mir nicht gut tut.

Körperlich fühle ich, wie sich mein Brustraum, mein Herz zusammenzieht. Damit verbunden ist Schmerz und tiefe Trauer – im Hintergrund auch Wut.

Ich denke, dass Vergebung eine positive Kraft und Fähigkeit ist. Vergebung kann verkrustete Konflikte schmelzen, den kalten Hass in warme Trauer verwandeln. Ich denke, es braucht viel Kraft und Selbstvertrauen, um diese Verwandlung anzugehen. Das Verharren in Schmerz und Verletzung wird immer nur neuen Schmerz und neue Verletzung hervorbringen, aber Vergebung lässt sich nicht herbei denken oder gar befehlen. Die Opfer der Verletzung brauchen ihre Zeit, um zu ihren Möglichkeiten des Vergebens finden zu können.

Ich hoffe, dass meine Bemühungen, vergeben zu könne, Erfolg haben werden. Dass ich auch mit kleinen Schritten dahin komme, meine Verletzungen nach und nach zu verwandeln.

Ich möchte gerne erreichen, dass ich dieser Einsicht täglich folgen kann. Und mein nahes Umfeld gibt mir dazu auch genügend Gelegenheit.

Vergeblich ist der Wunschtraum der Entschädigung, des Ungeschehen-Machens. Vergebung folgt dem Fluss des Lebens.

Weg – weg

Der Weg – japanisch „Do“, chinesisch „Tao“ – ist gerade aus der Stille aufgetaucht. Mein Weg, den ich gehe, hat viel mit dem Do zu tun. Schon seit der Kindheit befinde ich mich auf dem Do der Kampfkünste. Dieser Weg hat viel damit zu tun, dass er weg führte vom Gefühl der Schwäche, der Unzulänglichkeit und der Fremdbestimmung. Ich gehe diesen Weg immer noch und er bedeutet mir viel.

Im Kreis meiner Familie konfrontiert mich mein Weg damit, wie weit ich die Ansprüche meines Weges auch tatsächlich verwirklichen kann. Ein solcher Anspruch wäre Gelassenheit, auch in emotionalen Situationen – ja, wie gesagt, mein Weg konfrontiert mich mit Gelingen und Fehlschlägen.

Ebenso natürlich im sozialen Bereich. Wann ist es Zeit, in Situationen Partei zu ergreifen? Wann ist mein Mut und wann meine Kraft gefordert, um für Gerechtigkeit und Schutz von Schwächeren zu kämpfen? Mein Weg fordert mich auf, hinzusehen und wahrzunehmen, was in meinem sozialen Feld geschieht.

Körperlich spüre ich meinen Weg als freudige Ausdehnung des ganzen Körpers. Eine Beruhigung und Zentrierung und eine besondere Art von Wachheit.

Emotional fühle ich heitere Gelassenheit – neugierig, freundlich und voller Liebe.

Meine Gedanken zum Weg sind vielfältig. Aus meiner jetzigen Perspektive kann ich sagen, dass mich mein Weg zunächst zum Experten gemacht hat. Dass er mich darüber hinaus dann gelehrt hat, diese besonderen Prinzipien auch in anderen Lebensbereichen zu entdecken und ich mich so dem Tao immer weiter annähern konnte. Das Tao ist ein Philosophisches Konzept aus China – es besagt, dass der Verstand nichts Relevantes zu den letzten Dingen aussagen kann. Das Tao kann erfahren, aber niemals beschrieben werden. Mir ist das immer noch plausibel.

Meine Hoffnungen waren und sind, dass mir mein Weg dabei hilft, das Richtige zu tun, zu ein wenig Weisheit zu kommen und Mitgefühl zu leben.

Erreichen möchte ich gerne, dass ich die Ruhe und die Sicherheit finde und bewahre, um angemessen mit dem Geschenk meines Lebens umzugehen.

Ich will wachsam dafür bleiben, dass ich meine Schritte auf meinem Weg weitergehe und darauf vertrauen, dass sie mich dem Tao näher bringen.

Mein Weg erinnert mich daran, dass die Art, wie ich die Welt sehe, meine Welt erschafft. Der Weg zeigt mir ungewöhnliche Perspektiven auf die Welt, auf die Menschen und auf mich selbst. Er führt nicht weg dieser Weg sondern mitten hinein ins Leben.

Entwicklung – eingewickelt

Immer wieder überraschend, welche Begriffe aus der Stille auftauchen.

In meinem Leben spielt Entwicklung eine große Rolle. Bereits als Kind mit klaren Zielvorstellungen, wie ich als Erwachsener sein möchte – allerdings eben kindlichen Vorstellungen. Mein Denken und Handeln an Entwicklung hat sich mit dem Alter weiter entwickelt. Äußere Ziele haben sich verschoben, innere Ziele, sich verfeinert. Und letztlich muss ich nun einen Frieden mit der autonomen Entwicklung meines Lebens machen.

In meiner Familie entwickeln sich die Verhältnisse ebenfalls autonom. Allerdings nicht nur. Mit meiner Liebsten kommen immer wieder Themen der Entwicklung, auch Anpassungen an autonome Veränderungen, auf. Mit meiner Tochter, die sich gerade gewaltig entwickelt, fällt mir das Reden darüber nicht so leicht.

Die Entwicklungen der sozialen Welt besorgen mich sehr. Seien es die Klimaveränderung oder die Polarisierung der politischen Lager oder der Image-Kampf der „großen Nationen“.

Körperlich spüre ich den Begriff wie ein Zurückweichen. Als würde ich mich innerlich ganz an meine Rückseite begeben. Der Blick fühlt sich etwas misstrauisch an und die Arme etwas schwach.

Emotional fühle ich ein „Au Ja!“ in der Brust und den Schultern. Die Augen werden neugierig, mein inneres Tempo nimmt zu.

Ich denke, dass Entwicklung eigentlich ein häufig falsch verwendeter Begriff ist. Was mit einem Lebensimpuls beginnt wird in gegebene Umgebungen eingewickelt. Die autonome biologische Entwicklung erfährt eine soziale Herausforderung, eine Auswahl von Möglichkeiten, an die es sich anpassen kann und muss. Entwicklung wäre dann die Auseinandersetzung mit dieser biografischen Einwicklung (gewissermaßen eine Auswicklung) und die mögliche Erkenntnis und Erfahrung von Alternativen. Entwicklung – gemeint als Veränderung in der Zeit zu einer abschließenden Gestalt – ist so ein biologischer Begriff, der im sozialen Feld den fatalen Irrtum begünstigt, dass eine soziale Entwicklung eine abschließende Gestalt finden könnte. Daran glaube ich nicht.

Je älter ich werde, desto differenzierter werden meine Erreichungsziele. Immer weiter möchte ich meine Achtsamkeit mit mir und anderen entwickeln – natürlich durch Praxis! Ich würde auch gerne etwas zur positiven und lebensbejahenden Entwicklung der Gesellschaft beitragen – hier habe ich noch Entwicklungspotenzial.

Eine Angst im Hintergrund besteht in der Befürchtung, dass meine Entwicklungen letztlich zu schwach, vergeblich und bedeutungslos sind. Groß bleiben der Wunsch und die Hoffnung, dass alles gut werden möge.

Der für mich bedeutsamste Schritt bestünde wohl darin, mich in das politische Leben einzumischen, meine Beiträge darin zu leisten und eine Entwicklung zu unterstützen, die das Leben bewahrt.

Ein solches Engagement würde sich gewaltig auf mein Leben auswirken. Diesen Gedanken nehme ich oft, wenn ich vor der Wahl stehe, mich politische zu engagieren – woher soll ich die Zeit nehmen? – auf welche andere Aktivität dann verzichten?

Entwicklung hört niemals auf und Entwicklung führt nicht immer zum Besseren. Die Unterschiede zwischen autonomen, sozialen und persönlichen Entwicklungen klarer zu fassen – das Mögliche zu entwickeln und das Unvermeidliche akzeptieren zu lernen erscheinen mir als sinnvolle persönliche Entwicklungsziele.