Realming ist Selbsterfahrung mit System. Eine weitere Säule dieses Systems ist die Fremdwahrnehmung. Wozu aber soll Fremdwahrnehmung nützlich sein? Die Prinzipien der Selbstwahrnehmung und Selbststeuerung können sich erst dann richtig entfalten, wenn ich auch die mir wichtigen Menschen gut wahrnehmen kann. Ebenso wird die Selbstwahrnehmung von der Fremdwahrnehmung gestützt und ergänzt.
Die Grenze zwischen dir und mir
Die Instanz, die wir „Selbst“ nennen braucht eine lange Zeit, um sich zu entwickeln. In der frühen Lebenszeit ist es schwierig auseinanderzuhalten, ob das gute oder schlechte Gefühl von mir kommt oder von Mama/Papa, die sich gerade freuen oder ärgern. Wir lernen die Erwartungen unserer Eltern zu erraten und identifizieren uns auch gerne mit diesen Erwartungen, wir wollen das tun, was von uns erwartet wird. Manche Kinder entwickeln geradezu erstaunliche Fähigkeiten, die Gedanken ihrer Eltern zu „lesen“, und auch dabei kann es um die Autorenschaft des Gedankens leicht zu Verwechslungen kommen.
Heranwachsende müssen lernen, ihre eigenen Impulse und Gedanken von denen von anderen Menschen zu unterscheiden. Ebenso ihre eigenen Gefühle von denen anderer – auch und gerade weil Gefühle ein gewisses Ansteckungspotenzial entfalten. Wenn das zuverlässig gelingt fühlt ein Mensch sich gut abgegrenzt.
Einfühlendes Verstehen
Wenn wir uns gut fühlen wollen, ist es wichtig, mit anderen mitfühlen zu können. Mitgefühl ist keine Gabe, die Menschen in die Wiege gelegt ist. Die früheste Wurzel des Mitgefühls ist die Fähigkeit zur Imitation. Im Nachmachen der Gesten und der Mimik des Gegenübers werden ähnliche Gefühle wahrgenommen, wie die des Imitierten.
Erst allmählich kommt dann die Fähigkeit des Mitleids hinzu. Hier erfüllen die Gefühle des Gegenübers das psychische Erleben des Kindes ganz und gar. Der Schmerz des Anderen wird als eigener Schmerz leidvoll wahrgenommen. Erst wenn der innere Selbst Raum stabil ist, die eigenen Gefühle sicher erkannt werden können, kann der Schmerz des Anderen nachvollzogen werden, ohne dass er das Selbst überschwemmt.
Mit dieser Fähigkeit ist es möglich bedeutsame Beziehungen aufzunehmen und vor allem aufrecht zu erhalten.
Andere Menschen haben ein eigenes Selbst
Wie leicht kann es geschehen, dass wir eigene Anteile in anderen Menschen finden, oder dass wir den Anderen nicht mehr sehen wollen, weil er uns enttäuscht hat? Im Verlauf der Entwicklung erlebt das Kind die Bezugspersonen als „extra für mich da“. Dies ermöglicht den Aufbau von stabilen inneren Bildern und Geschichten über die Bezugspersonen.
Erst allmählich wird einem Kind klar, dass die Eltern auch noch andere Interessen als das Kind haben, dass es nicht im Mittelpunkt aller Interessen steht. Diese Kränkung zu verarbeiten ist nicht immer einfach. Mit der Zeit und wachsenden kognitiven Fähigkeiten wird das Kind dann hoffentlich reif für die Einsicht, dass jeder Mensch ein Mittelpunkt in einem subjektiven „Universum“ ist, dass Menschen biografische Wesen mit Stärken und Schwächen sind, dass sie eigene Bedürfnisse, Rechte und Interessen besitzen.
Andere Menschen haben auch Gefühle
In einer bedeutsamen Beziehung zu leben ist ein Stück Lebensqualität und eine Ressource ersten Rangs. Das Beziehungsleben kann erblühen, wenn die Partner sich füreinander interessieren. Von besonderem Interesse sind die Gefühle des jeweils anderen. Dabei können auch die negativen Gefühle wie Trauer, Ärger, Verachtung zum Zuge kommen, wenn sie denn dem Kontext angemessen sind.
Aber auch wenn ein Partner sich über den anderen ärgert stellt das nicht gleich die Beziehung überhaupt in Frage. Es ist möglich, sich über die Gefühle, deren Anlass und den Umgang damit, zu sprechen. Nach der Klärung kann dann auch wieder Freude, Zuneigung oder Anteilnahme entstehen.
Realming bietet die Gelegenheit, seine eigenen Fähigkeiten in der Fremdwahrnehmung kennen und verbessern zu lernen. Realming vermittelt Wissen über die „Logik“ der Gefühle und bietet Spielraum für neue Erfahrungen.