Ich bin unter eine Waage-Sonne geboren, der man ein großes Gerechtigkeitsempfinden nachsagt.
Mir selbst gerecht zu werden, scheint mir eine Lebensaufgabe zu sein. Da stellt sich zunächst die Frage, was dieses Selbst überhaupt ist und welche berechtigten Ansprüche es denn stellt. Das ist irgendwie verzwickt – das Selbst findet oder definiert einen Anspruch an sich selbst und entscheidet abschließend, ob es dann selbst dem Anspruch gerecht wurde – das kommt dann schnell in die Gefahr von Selbstgerechtigkeit und die finde ich nicht so gut.
Gerechtigkeit in meinen nahen Beziehungen ist ebenfalls keine einfach Aufgabe. Ich fühle mich schnell einmal ungerecht behandelt und habe dann einen Racheimpuls. Zum Glück bekomme ich inzwischen den Bogen ganz gut hin, auch die Interessen und Anliegen meiner Lieben in Betracht zu ziehen und kann damit einen Schritt dahin gehen, ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Gerechtigkeit im sozialen Feld – das treibt mich mitunter zur Verzweiflung. Die Ungerechtigkeit, die sich in der Geschichte und durch das Wirtschaftssystem auf der Erde ausgebreitet hat, tut mir regelrecht weh. Auch hier finde ich schnell Racheimpulse, die sich wahlweise auf korrupte Eliten, gierige Kapitalisten oder dumm-grausame Populisten richten. Mir ist klar, dass Rache an den Zuständen nichts ändern kann, sondern nur das Spiel aufs Neue aufnimmt – das führt zu einem gewissen Ohnmachtsgefühl, das ich nicht gut leiden kann.
Wenn ich mich auf der Empfindungsebene mit dem Begriff verbinde, spüre ich sehr schnell eine zentrale, vertikale Achse in mir. Ich atme auf, meine Gesicht entspannt sich und die Achse verlängert sich nach unten in den Boden und nach oben zum Himmel hin.
Emotional fühle ich so etwas wie Milde und auch eine gewisse Erleichterung macht sich in mir breit.
Ich denke, dass es so etwas wie eine biologisch angelegte Form von Gerechtigkeitsempfinden gibt – Fairness – wäre wohl ein passender Begriff. Die biologisch angelegte Fairness findet in verschiedenen Kulturen, einen unterschiedlichen Ausdruck und diese kulturellen Regeln sind auch einer Entwicklung unterworfen. Unfair behandelt zu werden, löst – kulturübergreifend – Ärger und Wut aus und zwar sowohl beim Individuum, als auch bei einer sozialen Gruppe.
Bezogen auf mich selbst habe ich gute Hoffnung, dass ich Gerechtigkeit in mir und in meinen Beziehungen immer besser reflektieren, immer leichter umsetzen kann. Ängste habe ich in Bezug auf die sozialen Ungerechtigkeiten und dem riesigen Wutpotenzial, das so erzeugt wird.
Ich werde meiner Strategie der Entpolarisierung in Gerechtigkeitsdebatten beibehalten und weiterhin für gegenseitigen Respekt plädieren.
In der Abschlussstille fühle ich mich etwas wehmütig, fast traurig. Ich bin mit meiner Ohnmacht in Kontakt, die meinen Willen wachruft, der Ungerechtigkeit nicht einfach schweigend zuzusehen.