Aggressionen, Ärger, Wut und Zorn haben eine Schattenseite. Sie verfügen über das Potenzial gewalttätig und zerstörerisch zu werden. Diese Schattenseite wird durch verschiedene Umstände begünstigt. Dass Wut zuverlässig durch Schmerzen ausgelöst wird, habe ich bereits im ersten Teil dargelegt. Ein weiterer starker Auslösereiz sind Grenzverletzungen. Die „Territorien“ um die es dabei geht können unterschiedlicher Art sein.
Das Intim-Territorium
Zunächst das sog. „Intim Territorium“ – dieses betrifft den eigenen Körper. Wird dieser angegriffen, belagert oder in seiner Lebensführung frustriert, dann löst das Wut aus. Und es muss nicht einmal der eigene Körper sein, der davon betroffen ist, es genügt bereits Zeuge davon zu werden, dass einem anderen Menschen so ein Angriff widerfährt. Die dabei gefühlte Wut ist bestenfalls in der Lage, sich aus so einer Zwangssituation zu befreien. Im weiteren Sinn gehören auch die wichtigen Mitmenschen – Partner*innen, Kinder, Eltern, gute Freund*innen zum Intimterritorium. Angriffe auf diese sind quasi auch persönliche Angriffe.
Das Image
Ein anderes Territorium ist das Selbstverständnis, das Image, das jemand von sich hat und nach außen zeigt. Die meisten Menschen haben ein Selbstbild, das sie als verantwortungsvoll, liebenswert, kompetent oder auch hart, entschlossen und überlegen u.v.m. auszeichnet. In aller Regel bestätigen Mitmenschen diese Vorstellungen (man beachte die doppelte Bedeutung von „Vorstellung“). Auch hier gibt es die Variationen der Grenzverletzung. Direkter Angriff auf das Image, Verweigerung der Bestätigung oder das Festnageln auf einen Aspekt des Images. Solche Angriffe werden als sehr schmerzhaft erlebt. Der Ärger darüber kann bestenfalls dabei helfen, für sich einzustehen und den Angreifer in seine Schranken weisen.
Glaube
Noch ein Territorium besteht in den Weltbildern und Glaubenssystemen, die sich ein Mensch macht. Gläubige jeglichen Glaubens reagieren meist sehr empfindlich auf Kritik an diesem – sei es als Belustigung, als Abwertung, Ablehnung oder Ausgrenzung.
Ko-Territorien
Im sozialen Raum lassen sich auch Ko-Territorien beschreiben. Z.B. als Mitarbeiter in einer Firma in einem definierten Arbeitsbereich, der mit anderen Bereichen zusammenarbeiten muss. Auch hier können Rivalen eindringlich stören, durch Dauertratsch an der Arbeit hindern oder es entwickelt sich womöglich eine Mobbing Dynamik.
Für alle Arten von Grenzverletzung steht der/die Betroffene vor der Frage, was er nun mit seiner Wut anfangen soll. Die abwertende soziale Einschätzung von Wut beruht vor allem auf der oben erwähnten Schattenseite. Aber Wut ist nicht gleich Zerstörung oder Gewalt. Wut bewertet zutreffend eine Grenzverletzung als inakzeptabel und stellt die Energie bereit, sich dieser Verletzung entgegenzustellen und sein Territorium zu verteidigen und diese ist auch ohne Gewalt und Zerstörung möglich.