Weg – weg

Der Weg – japanisch „Do“, chinesisch „Tao“ – ist gerade aus der Stille aufgetaucht. Mein Weg, den ich gehe, hat viel mit dem Do zu tun. Schon seit der Kindheit befinde ich mich auf dem Do der Kampfkünste. Dieser Weg hat viel damit zu tun, dass er weg führte vom Gefühl der Schwäche, der Unzulänglichkeit und der Fremdbestimmung. Ich gehe diesen Weg immer noch und er bedeutet mir viel.

Im Kreis meiner Familie konfrontiert mich mein Weg damit, wie weit ich die Ansprüche meines Weges auch tatsächlich verwirklichen kann. Ein solcher Anspruch wäre Gelassenheit, auch in emotionalen Situationen – ja, wie gesagt, mein Weg konfrontiert mich mit Gelingen und Fehlschlägen.

Ebenso natürlich im sozialen Bereich. Wann ist es Zeit, in Situationen Partei zu ergreifen? Wann ist mein Mut und wann meine Kraft gefordert, um für Gerechtigkeit und Schutz von Schwächeren zu kämpfen? Mein Weg fordert mich auf, hinzusehen und wahrzunehmen, was in meinem sozialen Feld geschieht.

Körperlich spüre ich meinen Weg als freudige Ausdehnung des ganzen Körpers. Eine Beruhigung und Zentrierung und eine besondere Art von Wachheit.

Emotional fühle ich heitere Gelassenheit – neugierig, freundlich und voller Liebe.

Meine Gedanken zum Weg sind vielfältig. Aus meiner jetzigen Perspektive kann ich sagen, dass mich mein Weg zunächst zum Experten gemacht hat. Dass er mich darüber hinaus dann gelehrt hat, diese besonderen Prinzipien auch in anderen Lebensbereichen zu entdecken und ich mich so dem Tao immer weiter annähern konnte. Das Tao ist ein Philosophisches Konzept aus China – es besagt, dass der Verstand nichts Relevantes zu den letzten Dingen aussagen kann. Das Tao kann erfahren, aber niemals beschrieben werden. Mir ist das immer noch plausibel.

Meine Hoffnungen waren und sind, dass mir mein Weg dabei hilft, das Richtige zu tun, zu ein wenig Weisheit zu kommen und Mitgefühl zu leben.

Erreichen möchte ich gerne, dass ich die Ruhe und die Sicherheit finde und bewahre, um angemessen mit dem Geschenk meines Lebens umzugehen.

Ich will wachsam dafür bleiben, dass ich meine Schritte auf meinem Weg weitergehe und darauf vertrauen, dass sie mich dem Tao näher bringen.

Mein Weg erinnert mich daran, dass die Art, wie ich die Welt sehe, meine Welt erschafft. Der Weg zeigt mir ungewöhnliche Perspektiven auf die Welt, auf die Menschen und auf mich selbst. Er führt nicht weg dieser Weg sondern mitten hinein ins Leben.

Entwicklung – eingewickelt

Immer wieder überraschend, welche Begriffe aus der Stille auftauchen.

In meinem Leben spielt Entwicklung eine große Rolle. Bereits als Kind mit klaren Zielvorstellungen, wie ich als Erwachsener sein möchte – allerdings eben kindlichen Vorstellungen. Mein Denken und Handeln an Entwicklung hat sich mit dem Alter weiter entwickelt. Äußere Ziele haben sich verschoben, innere Ziele, sich verfeinert. Und letztlich muss ich nun einen Frieden mit der autonomen Entwicklung meines Lebens machen.

In meiner Familie entwickeln sich die Verhältnisse ebenfalls autonom. Allerdings nicht nur. Mit meiner Liebsten kommen immer wieder Themen der Entwicklung, auch Anpassungen an autonome Veränderungen, auf. Mit meiner Tochter, die sich gerade gewaltig entwickelt, fällt mir das Reden darüber nicht so leicht.

Die Entwicklungen der sozialen Welt besorgen mich sehr. Seien es die Klimaveränderung oder die Polarisierung der politischen Lager oder der Image-Kampf der „großen Nationen“.

Körperlich spüre ich den Begriff wie ein Zurückweichen. Als würde ich mich innerlich ganz an meine Rückseite begeben. Der Blick fühlt sich etwas misstrauisch an und die Arme etwas schwach.

Emotional fühle ich ein „Au Ja!“ in der Brust und den Schultern. Die Augen werden neugierig, mein inneres Tempo nimmt zu.

Ich denke, dass Entwicklung eigentlich ein häufig falsch verwendeter Begriff ist. Was mit einem Lebensimpuls beginnt wird in gegebene Umgebungen eingewickelt. Die autonome biologische Entwicklung erfährt eine soziale Herausforderung, eine Auswahl von Möglichkeiten, an die es sich anpassen kann und muss. Entwicklung wäre dann die Auseinandersetzung mit dieser biografischen Einwicklung (gewissermaßen eine Auswicklung) und die mögliche Erkenntnis und Erfahrung von Alternativen. Entwicklung – gemeint als Veränderung in der Zeit zu einer abschließenden Gestalt – ist so ein biologischer Begriff, der im sozialen Feld den fatalen Irrtum begünstigt, dass eine soziale Entwicklung eine abschließende Gestalt finden könnte. Daran glaube ich nicht.

Je älter ich werde, desto differenzierter werden meine Erreichungsziele. Immer weiter möchte ich meine Achtsamkeit mit mir und anderen entwickeln – natürlich durch Praxis! Ich würde auch gerne etwas zur positiven und lebensbejahenden Entwicklung der Gesellschaft beitragen – hier habe ich noch Entwicklungspotenzial.

Eine Angst im Hintergrund besteht in der Befürchtung, dass meine Entwicklungen letztlich zu schwach, vergeblich und bedeutungslos sind. Groß bleiben der Wunsch und die Hoffnung, dass alles gut werden möge.

Der für mich bedeutsamste Schritt bestünde wohl darin, mich in das politische Leben einzumischen, meine Beiträge darin zu leisten und eine Entwicklung zu unterstützen, die das Leben bewahrt.

Ein solches Engagement würde sich gewaltig auf mein Leben auswirken. Diesen Gedanken nehme ich oft, wenn ich vor der Wahl stehe, mich politische zu engagieren – woher soll ich die Zeit nehmen? – auf welche andere Aktivität dann verzichten?

Entwicklung hört niemals auf und Entwicklung führt nicht immer zum Besseren. Die Unterschiede zwischen autonomen, sozialen und persönlichen Entwicklungen klarer zu fassen – das Mögliche zu entwickeln und das Unvermeidliche akzeptieren zu lernen erscheinen mir als sinnvolle persönliche Entwicklungsziele.

Übergang – übergangen

Vermutlich ist das Thema den Träumen der vergangenen Nacht geschuldet. Übergänge erlebe ich im Selbstumgang vor allem, wenn sie plötzlich eintreten. Solange sie sich schleichend vollziehen – wie mein Alterungsprozess – kann ich sie gut ignorieren. Die alltäglichen Übergänge von Einschlafen und Aufwachen, Berufszeit und Feierabend, Wochentage und Wochenenden folgen Routinen, die den Übergangscharakter verwischen.

In meiner Familie wird meine Tochter so langsam zur jungen Frau – ich bemerke, dass sie gewachsen ist – an Körpergröße und Reife. Sie befindet sich im Übergang, der auch ein Übergang in unserem Zusammenleben mit sich bringt.

In meinem nahen sozialen Feld finde ich dasselbe – schleichende, meist ignorierte Übergänge – Alterungsprozesse, routinierte Übergänge, die in der Regel gar nicht erst zu Bewusstsein kommen. Im ferneren sozialen Umfeld sind die Übergänge massiv und kaum wegzudrängen. Die Klimaveränderung wird das Miteinander auf diesem Planeten verändern – wie, vermag ich nicht zu sagen. Auch die politische Landschaft – in der BRD, in Europa und weltweit nehme ich im dramatischen Übergang in eine unbekannte Zukunft wahr.

Körperlich empfinde ich Schwäche in den Armen, Beinen und im Becken, der Impuls ist, meine Bauchseite zu schützen und meine Augen schauen nach oben.

Emotional finde ich eine überraschende Ambivalenz – einerseits eine unbestimmte Furcht und andererseits so etwas wie jubelnde Freude.

Ich denke dass die Urerfahrungen von Übergang in Geburt und Sterben, bzw. Zeugung und Tod liegen. Insbesondere die Todesgewissheit unterliegt nach wie vor der kollektiven Verdrängung, von der auch ich mich immer wieder einlullen lasse. Dies führt dann zum eigentümlichen Effekt, dass ich die Übergänge allzu leicht übergehe. Übergang in einem anderen Sinn ist aber auch das Übergehen in andere Räume oder Sphären. Das Überqueren von Grenzen als existenzieller Prozess, der Leben erst ermöglicht. Diese Übergänge vollziehen sich auf allen Ebenen – der Übergang von Sauerstoff aus der Luft ins Blut, der Übergang des Bluts in die Organe, Übergänge von Gedanken von mir zu Dir, Übergänge von Waren, Geld usw. usf.

Meine Hoffnungen bezüglich aktueller und künftiger Übergänge ist immer, dass sie zu etwas Besserem führen werden, als das was verlassen werden muss. Allerdings führt die Furcht vor dem Schlechter-Werden häufig zur Verdrängung des Übergangs.

Damit wird das Erreichungsziel deutlicher – bewusst, die wichtigen Übergänge wahrzunehmen; Bewusst, die Chancen und Risiken in den Blick zu nehmen, bzw. das heimliche Vermeidungsziel – der Veränderung zu entgehen – fallen zu lassen.

Ein erster Schritt in diese Richtung wäre, mich für meine existenziell anstehenden Übergänge zu sensibilisieren, mich auf sie vorzubereiten und einen akzeptierenden inneren Umgang damit zu finden.

Ich denke, mein Selbstumgang würde freundlicher dadurch werden, mein Umgang mit den mir nahen Menschen angemessener und wer weiß, vielleicht finde ich sogar die Energie mich in die sozialen Bewegungen einzubringen, die die anstehenden Übergänge bekömmlich gestalten wollen.

In der Abschlussstille taucht ein Gefühl von Frieden auf – der Frieden mit dem Unvermeidlichen, der aus der Aufdeckung der verdrängten Todesfurcht entstehen mag.

Gewalt – gewollt?

Die Anschläge von Paris lassen mich nicht kalt, auch wenn ich mir viel Mühe gebe, mir die Bedeutung nicht zu nahe kommen zu lassen.

In meinem Selbstumgang kenne ich verschieden Formen von mehr oder minder subtiler Gewalt. Schmerzhafte Gewalt habe ich mir als Teenager zugefügt, als ich mich selbst tätowiert habe. Dass ich immer noch rauche, könnte als milde Form der Gewalt gelten. Ähnlich ist es mit meinen Selbstgesprächen – als Teenager und Junger Mann habe ich mich häufig selbst abgewertet bis hin zur Verachtung. Heute habe ich einen deutlich milderen Selbstumgang entwickelt.

Im Beziehungskontext kenne ich Gewaltimpulse ebenfalls, vor allem aus der Vergangenheit. Situationen, in denen ich mich ohnmächtig und/oder verletzt gefühlt habe, haben regelmäßig Gewaltfantasien und –Impulse heraufbeschworen – es ging so manches Glas zu Bruch, aber ich konnte mich soweit beherrschen, nicht auf die vermeintlichen Täter*innen loszugehen – es sei denn mit Worten, die allerdings über ein gewaltiges Gewaltpotenzial verfügen.

Im sozialen Kontext hatte und habe ich wenig Erfahrung mit Gewalt – ich habe mich stets am Rand von Gruppen aufgehalten. Die wenige Erfahrung, die ich habe ängstigt mich eher – eine aufgeputschte Truppe, die zu wissen glaubt, dass sie für das Gute kämpft entwickelt eine beträchtliche und mitreißende Dynamik – der Verstand tendiert dahin, sich zu verabschieden.

Wenn ich auf die Empfindungen meines Körpers zum Thema achte, dann spüre ich deutlich meine Augen- und Kinnpartie, meine Hände und Arme.

Emotional sind die Augen mit Trauer und Schmerz assoziiert, Arme und vor allem die Hände mit maßloser Wut und Killerimpulsen.

Rational kann ich die Gewalt in den Kontext von Wut – ausgelöst durch Schmerz, Unfairness und Grenzverletzungen setzen. Die Fähigkeit, in der Wut gewalttätig zu werden ist eine angeborene Option – diese Impulse zu beherrschen und/oder zu kanalisieren eine Aufgabe der Zivilisation. Gewalt hat viele Gesichter – die Gewalt im Sinne einer militärischen oder quasimilitärischen Ausübung, aber auch die Gewalt von Gesetzen und Bestimmungen, die Ausgrenzen und Diffamieren und sicher noch andere.

Für mich selbst habe ich bereits erreicht, dass meine Wut mit mich (meistens) nicht mitreißt. Ich würde gerne erreichen, dass es mir gelänge, zu trauern, wenn mir etwas angetan wird, wenn ich etwas verliere oder ich Schmerzen habe. Ich befürchte aber, dass ich zu oft vermeiden will, mein Gesicht zu verlieren oder mich schwach zu zeigen.

Wünschen würde ich mir, dass die Fähigkeit zu trauern noch von viel mehr Menschen genutzt werden würde – ist es nicht auch ein Aspekt von Terror, dass die Hinterbliebenen die Trauer fühlen, die die Täter schon lange verdrängt haben?

Ich könnte mir vornehmen, nach der Wut auch nach dem Verlust und der Trauer zu suchen und über das Mitgefühl mit mir selbst auch wieder Mitgefühl für vermeintlichen Täter*innen zu entwickeln.

Gelänge mir dies, würde ich wohl mehr Gelassenheit entwickeln – mehr Annahme dessen, was so ein Leben mit sich bringen kann.

Gewalt ist kein Naturgesetz.

Ordnung

„Ordnung ist das halbe Leben“ heißt es – und „Ordnung muss sein“ ist mir als Deutscher auch sehr vertraut.

Im Umgang mit mir selbst erlebe und verhalte ich mich ein wenig ambivalent zur Ordnung. Einerseits sehr diszipliniert – pünktlich und aufgeräumt und andererseits immer gut dafür, etwas aufzuschieben und irgendwo ist immer noch eine Ecke, in der gerade nicht aufgeräumt ist. Ich schätze meine Routinen, auf die ich ordentlich aufpasse, die ich ungern unterbreche oder verändere.

Im Umgang mit meiner Liebsten und meiner Tochter erlebe ich mich öfter so, dass mich die „fremde“ Unordnung eher stört, als meine eigene. Das gilt vor allem in den gemeinsam bewohnten Räumen – der Küche, dem Wohnzimmer und in Bad und Klo. Gerade habe ich geputzt und schon kommt wieder eine und kleckert herum, ohne es wegzuputzen – krümelt das Sofa voll, ohne es wegzusaugen usw. usf.

Im sozialen Umfeld kommt sofort die Assoziation von „Recht und Ordnung“ in mir auf. Was Recht ist und wie es durchgesetzt wird, ist eine Frage, bei der ich mich immer wieder gut aufregen kann. Ganz aktuell das Thema der Syrien Flüchtlinge und welchen Status sie in Zukunft erhalten sollen. Häufig erlebe ich mich eher trotzig und bockig gegen fremdgesetzte Ordnungskriterien – auch wenn ich im nächsten stillen Moment einsehe, dass Kriterien irgendwie gesetzt werden müssen – aber ausgerechnet so?

In meiner Körpersphäre spüre ich mit dem Begriff Ordnung vor allem meine Körperoberfläche – sie fühlt sich entspannt, fast schon heiter an.

Mehr in der Tiefe kann ich dann leicht in Kontakt mit dem Trotz kommen, mit dem Impuls, meine Ordnung selbst bestimmen zu wollen.

Ich denke, dass Ordnung ein Effekt der Selbstorganisation des Universums darstellt. Ordnung stellt sich ein, wenn Energien und Strukturen durch Flüsse miteinander kommunizieren und zeitstabile Systeme erschaffen, die auf einen Menschen geordnet wirken. Dieser Ordnungseffekt wirkt meiner Ansicht nach auf allen Systemebenen – von der biologische über die psychische bis zur sozialen.

Ich möchte gerne erreichen, dass es mir gelingt, meine Angelegenheiten ordentlich und vor allem zeitnah zu erledigen. Ich bemerke dabei meinen Trotz, der vermeiden will, dass ich allzu gehorsam erscheine.

Wünschen würde ich mir eine ordentliche, nämlich gerechtere Weltordnung, in der die Menschenwürde nicht vom Zufall der Geburt abhängig ist.

Für mich wäre es wohl wirklich ein Schritt, meine Pflichten nicht immer erst in letzter Minute anzugehen und das Bedürfnis des Trotzes, meine Autonomie zu spüren, auf andere Art stillen zu können.

Ich vermute, dass ich mein immer wieder leicht gestresster Zustand dadurch etwas Ruhe finden würde. Möglicherweise wäre ich sogar toleranter dem „Fremdchaos“ gegenüber.

In Abschlussstille taucht die Einsicht auf, dass Ordnung ein Prozess und keine statische Struktur ist.